Pitch Black
die Situation nicht mehr beurteilen kannst.«
Sie sackte zusammen und strich sich die Haare aus der Stirn. »Ich weiß. Ich weiß.«
Er sprach ein anderes Thema an, das sich nicht vermeiden ließ. »Wir müssen auch Colin Arbuckles Unfall noch mal durchgehen. Wie hängt er mit alldem zusammen?«
»Da habe ich auch schon drüber nachgedacht. Könnte er seine Schuldgefühle in Budweiser ertränkt haben?«
»Könnte sein. Vielleicht wusste er mehr, als er bei der Befragung zugegeben hat. Vielleicht ist es aber auch purer Zufall.«
Sie zog eine Augenbraue hoch. »Du wärst der erste Ermittler, den ich kenne, der bei so etwas an Zufall glaubt.«
Eine Weile saßen sie beide schweigend da.
Die Gesprächspause zog sich so lange hin, dass Gabe schließlich aufstand. »Ich sollte besser gehen.« Er wollte nicht gehen. Er wollte bleiben und ihr versichern, dass alles gut enden würde; dass er ihrem Sohn voll und ganz glaubte. Aber keins von beiden entsprach der Wahrheit.
Sie stand nicht auf. Und sie nahm die Unterhaltung auch nicht wieder auf.
Er war schon an der Küchentür, da sagte sie: »Du weißt, dass niemand in dieser Stadt Ethan glauben wird, außer Jordan oder Kate geben zu, dass Steve seinen Stiefsohn misshandelt hat. Ich weiß, welchen Druck die öffentliche Meinung auf einen Staatsanwalt und auf Geschworene ausüben kann. Ich möchte nicht, dass meinem Sohn so etwas widerfährt.«
»Hier geht es nicht um die öffentliche Meinung. Hier geht es um Beweise und Fakten–wo immer die auch hinführen. Unterschätz mich nicht, Maddie. Ich mag vielleicht ein Junge vom Land sein, aber ich weiß, wie ich meine Arbeit zu machen habe.«
Sie sah zu ihm hoch. Er wünschte, sie hätte das nicht getan. In ihrem Blick lag nicht das geringste Vertrauen.
16
Madison blieb am Straßenrand stehen und beobachtete, wie Ethan die Highschool betrat. Was sie sah, gefiel ihr gar nicht. Er war in die abweisende »Bleibt mir bloß vom Hals«-Haltung zurückgefallen, die sie ihm in zwei Jahren mühsam abgewöhnt hatte. Als er an ein paar Mädchengruppen vorbeiging, steckten sie die Köpfe zusammen und warfen ihm nervöse Blicke zu. An der Tür machten ein paar Jungs einen Bogen um ihn.
Gott, wie sie das hier hasste! Diese Empfindlichkeit, von der sie gehofft hatte, sie sei endgültig aus Ethans Leben verschwunden, war auf der ganzen Linie wieder da. Am liebsten wäre sie ausgestiegen und hätte diesen tuschelnden Mädchen ein paar runtergehauen und die Jungs an den Schultern gepackt und durchgeschüttelt, bis ihnen die Zähne klapperten.
Natürlich tat sie das nicht. Sie biss die Zähne zusammen, legte den Gang ein und machte sich auf den Weg zur Arbeit.
Bevor sie die Redaktion betrat, machte sie kurz an der Glastür Halt. Judy stand neben dem Schreibtisch von Jennifer, der Empfangssekretärin. Als Madison die Tür aufzog, brachen die beiden das Gespräch abrupt ab und sahen sie schuldbewusst an.
»Guten Morgen, die Damen«, sagte Madison fröhlich. »Reden Sie ruhig weiter.« Sie ging an ihnen vorbei.
An ihren errötenden Wangen und ihrem verdutzten Gesichtsausdruck konnte sie ablesen, dass sie mal wieder ein ehernes Südstaatengesetz gebrochen hatte: Wenn man jemanden dabei erwischt, wie er über einen tratscht, dann tut man grundsätzlich so, als hätte man keine Ahnung, worum es geht.
Mein Gott, all diese gesellschaftlichen Gepflogenheiten sind so ermüdend. Und heute war sie viel zu mitgenommen und erschöpft für größere Anstrengungen.
»Da es so aussieht, als wäre Ihr Gespräch beendet«, fuhr sie trocken fort, »möchte ich, dass Sie, Judy, die ganze Hintergrundberichterstattung über Colins Unfall machen–reden Sie mit den Behörden, der Familie, mit Freunden, mit wem auch immer. Und Jennifer, rufen Sie Donnie an, und fragen Sie, ob er während der Suche und der Bergung irgendwelche Fotos gemacht hat.« Der Fotograf Donnie Roudebush arbeitete freiberuflich für die Zeitung und vertraute auf seinen Polizeifunkscanner, um brisante Fälle mitzubekommen. »Wenn nicht, soll er ein paar vom Unglücksort machen, am liebsten vom Bach zur Brücke hoch. Ach, und rufen Sie die Familie an, und bitten Sie sie um ein neueres Foto von Colin.«
Beide Frauen nickten. Judy folgte Madison in ihr Büro. »Ich…ich habe bereits mit den Arbuckles gesprochen…Ich dachte…nun ja, ich meine…wenn man alles berücksichtigt…«
»Um Himmels willen, Judy, jetzt spucken Sie es schon aus!«
Madison schob ihre Handtasche unter den
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