Pitch Black
er in die fünfte Klasse ging, kam er eines Tages nach Hauseund fand seine Mutter, das Gesicht blau-weiß, der Körper kalt, das dunkle Haar verfilzt und ungekämmt, die Nadel noch im Arm.
Damals war es anders gewesen als bei Mr McP. Denn als seine Mom starb, hatte er neben Schock und Traurigkeit vor allem eins gespürt: Erleichterung. Er schämte sich für dieses Gefühl, deshalb gestand er es sich nur selten ein. Aber es stimmte. Endlich war das passiert, womit er ohnehin schon lange gerechnet hatte.
So lange er zurückdenken konnte, war er–so oft er überhaupt den Mut gefunden hatte, nach Schulschluss nach Hause zu gehen–mit der Hand am Türgriff stehen geblieben. Er hatte innegehalten, was im Treppenhaus dieses Wohnblocks eigentlich gewagt war, und sich gefragt, ob dies der Tag sein würde, an dem er sie tot auffand. Oder ob sie es gerade für Drogen einem Kerl besorgte oder einfach…fort war. Tot war vermutlich besser als fort. So musste er sich keine Gedanken machen, ob sie zurückkam.
Wenn M etwas passierte, wäre das tausendmal schlimmer. Da gäbe es keine Erleichterung, nur Schuldgefühle. Bei M hatte er sich nie einen Haufen Mist gefallen lassen müssen, um hin und wieder ein paar freundliche Worte zu hören. Mit M war es schön. Punkt. Sogar wenn sie ihm auf den Keks ging.
Hatte er dem seltsamen Telefonanruf zu viel Bedeutung beigemessen? Waren das nur ein paar Jugendliche gewesen, die ihn verarschen wollten?
Er hätte das gern geglaubt. Aber verdammt, bei dem Spruch über Mama hätte er beinahe einen Herzinfarkt bekommen.
Niemals hätte er sich die Hoffnung machen dürfen, dass sein Leben wie das eines normalen Kinds sein könnte. Er hätte niemals auf den Campingausflug mitgehen dürfen.
Gabe war überaus interessiert, etwas über McPhersons erste Frau zu erfahren. Gleich am nächsten Morgen hätte er Erkundigungen über McPhersons Leben in Michigan eingeholt. So bekam er die Informationen schon jetzt. Er schob seinen Teller beiseite und stützte die Unterarme auf den Tisch. Das Geschirr konnte warten.
»Was hast du rausgefunden?«, fragte er Maddie.
»Nachdem du erzählt hattest, dass McPherson nicht gern über den Tod seiner ersten Frau redete, habe ich mich gefragt, warum. Ich meine, Trauer ist ja nachvollziehbar. Aber nachdem er so viele Jahre hier gelebt und auch wieder geheiratet hatte, kam es mir doch seltsam vor, dass niemand genau wusste, was mit ihr geschehen war. Fast alle, mit denen ich gesprochen habe, nehmen wie du an, dass sie Krebs oder irgendetwas Ähnliches hatte.
Aber das war nicht der Fall. Sie starb, nachdem sie eine Treppe hinuntergestürzt war–zu Hause. Vermutlich allein. Todd kam vom Baseballtraining nach Hause und fand sie. Da war er gerade mal zehn.«
Gabe äußerte sich möglichst neutral. »Verdammt! Armer Junge. Kein Wunder, dass er Kate so beschützt.«
Sie sah ihn an, als hätte er das Wesentliche nicht mitbekommen. »Findest du es nicht auffällig, dass die Frau eines Mannes, den wir verdächtigen, seinen Stiefsohn geschlagen zu haben, so ums Leben kam?«
Das war ihm durchaus nicht entgangen. Aber es fiel ihm ohnehin schon schwer, eine Grenze zu ziehen und mit Maddie nicht mehr über den Fall zu reden, als er durfte. Er konnte sein persönliches Interesse an ihr nicht bestreiten. Dazu kam, dass sie intelligent war und gerne Nachforschungen anstellte. Der Gedankenaustausch mit ihr konnte ihn durchaus weiterbringen. Aber andererseits war sie selbst in einem Maß betroffen, dass solche Gespräche unmöglich waren. Es war eine verdammte Gratwanderung.
»Ich werde mich an die zuständigen Stellen in Ann Arbor wenden und in Erfahrung bringen, was bei der Untersuchung herauskam. Vermutlich wird es nicht ausreichen, um Misshandlung zu beweisen…ich meine, Steve wurde ja nicht angeklagt.«
»Da hast du recht, das wurde er nicht. Aber vielleicht hatten sie einen Verdacht, der allerdings für eine Anklageerhebung nicht ausreichte.« Gekränkt sah sie ihn an. »Hast du seine Vergangenheit nach unserem Gespräch denn nicht unter die Lupe genommen?«
Die Frage wurmte ihn. »Ich war mir nicht bewusst, dass du über alles informiert werden willst, was ich bei meiner Untersuchung unternehme.«
Maddie wandte beleidigt den Blick ab und richtete sich auf ihrem Stuhl auf.
Er bezweifelte, dass sie hören wollte, was Jacob Roberts von sich gegeben hatte. Was, wenn ihre Theorie, Steve habe Menschen misshandelt, sich als wahr herausstellte, aber zu einem ganz anderen
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