Piter - Wrotschek, S: Piter - Metro-Universum: Piter
keine Wortspielchen. Es geht um dein Leben.«
»Genau. Sie wollen also eine ehrliche Antwort?« Iwan lächelte plötzlich. »Gut. Sie werden sie bekommen. Doch vorher möchte ich eines wissen: Wozu war das alles nötig. Dieser Diebstahl, der Mord? Dieser ganze Krieg?«
»Jeder will immer alles erklärt haben.«
»Ich möchte begreifen, General. Sie wollen doch einen mündigen Adjutanten und keine Marionette, oder?«
Memow sah Iwan in die Augen.
»Du bist hartnäckig. Dich möchte ich nicht zum Feind haben.«
Das beruht auf Gegenseitigkeit, dachte Iwan.
»Bist du nun auf meiner Seite, Iwan?« Memow ließ nicht locker. »Aber ich warne dich: Lass dir nicht einfallen, mich anzulügen. Im Übrigen, selbst wenn du lügst …« Er hielt inne. »Du musst wissen, ich habe so eine Art sechsten Sinn. Ich merke es sofort, wenn jemand lügt. Für einen Politiker ist das sehr nützlich. Also?«
Tut mir leid wegen des Maschinengewehrs, Chef.
Jefiminjuk. Ein Trottel vor dem Herrn.
Und wegen einem wie ihm soll ich jetzt mein Leben riskieren?
Schweigen.
»Wie hast du dich entschieden?«, fragte Memow.
»Ich bin auf Ihrer Seite.«
Memows bohrender Blick war kaum zu ertragen. Iwan spürte das Blut in seinen Adern pulsieren.
»Gut«, sagte Memow. Er drehte den Kopf hin und her, als würde sein Jackenkragen am Hals reiben. »Ich glaube dir.«
Iwan schaute den Schneeflocken zu. Er hatte diesen Augenblick mit Bedacht gewählt. Um ihn herum herrschte heitere Aufbruchsstimmung – Sieg, Sieg, und bald geht’s nach Hause. Gladyschew packte seinen Rucksack. Im Augenwinkel sah Iwan seinen breiten Rücken.
Erstaunlich, dass die Natur ausgerechnet ein Monster wie ihn mit einem solchen Bewegungstalent ausgestattet hatte. Gladyschew war der geborene Mörder. Dank seiner perfekten Körperbeherrschung bewegte er sich beim Töten flink und geschmeidig, mit der Eleganz eines Balletttänzers. Dabei war er im Grunde ein primitiver, geistig ziemlich beschränkter Typ. Ein Vergewaltiger, Plünderer und Mörder, der im Ballett nichts zu suchen hatte. Eher schon am Galgen. Und am besten, man ließ ihn gleich drei Tage dort hängen, so wie man es am Newski prospekt mit Vergewaltigern machte. Iwan konnte gar nicht in seine Richtung schauen, so sehr widerte Gladyschew ihn an.
Das war’s dann wohl mit deiner Digger-Einheit. Stimmt’s, Iwan?
Kaum merklich nickte Iwan mit dem Kopf. Immer noch rieselten Flocken herab, langsam und anmutig. Sie fielen auf die verschneite Lichtung, auf die winzigen Tannen und auf das weiß überzuckerte Dach des Häuschens. Seltsam. Das Häuschen wirkte lebendig – im Gegensatz zur Stadt an der Oberfläche.
Iwan erinnerte sich plötzlich an den langsamen, leblosen Schneefall jenes Tages, als er mit Kossolapy in der Stadt oben unterwegs gewesen war. Die Newa hatte sich unter einem Eispanzer versteckt, die Straßen der Wassiljewski-Insel waren verschneit und mausetot.
Der gespenstische Eindruck erloschener Größe.
Sie gingen damals eine Allee entlang. Rechter Hand sah Iwan ein windschiefes Schild mit der Aufschrift »Weißrussische Schuhe«. Die Tür darunter stand offen und selbst im Laden lag Schnee.
Die Reihen der verkohlten Baumleichen verloren sich in der Ferne, in Richtung der Leutnant-Schmidt-Uferstraße.
Brunnen aus Granit, mit weißen Hauben überzogen.
Unter Iwans Schritten knirschte der Schnee. Es war kalt. Am warmen Lauf des Gewehrs schmolzen die herabfallenden Flocken. Links von sich hörte Iwan dasselbe gleichmäßige Knirschen, nur in einem anderen Rhythmus. Dort ging Kossolapy. Linker Hand sah Iwan die Ruinen der St.-Andreas-Kathedrale. Eine der Kuppeln war vor langer Zeit auf die Allee herabgestürzt und hatte dabei einen Baum umgeknickt. Jetzt war sie zugeschneit und an manchen Stellen lugten verblasste Vergoldungen durch die weiße Decke.
Die beiden Digger marschierten und hielten ständig Tuchfühlung – praktisch ohne Blickkontakt. Es schneite unentwegt weiter. Der Himmel war schon beinahe schwarz, doch dank des Schnees konnte man immer noch ganz gut sehen.
Trotzdem, bald würden sie die Lampen brauchen.
Über der Kreuzung sah Iwan die schwarze Silhouette des St.-Andreas-Hofs. Um den sollte man lieber einen Bogen machen und – Iwan blickte nach rechts – um den kleinen Brunnen auch. Die Lutheranische Kirche befand sich direkt hinter der Kathedrale. Dort konnte ein Nest sein.
Man wusste das nicht sicher, doch es war durchaus möglich.
Von irgendwoher hatten die Bestien beim
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