Pixity - Stadt der Unsichtbaren
wäre, wenn wir die Pixies von Claus’ Tod unterrichten und Ihnen die Möglichkeit geben, mitzutrauern. Auch pädagogisch sinnvoll. Jugendliche an die Existenz des Todes gewöhnen, nicht immer verdrängen.«
»Du sagst nichts?«
Wieder schmatzte Gorland an seinem Bier und riss Bentner aus diesem erbärmlichen Bild des Morgens, wischte die beiden Typen, die nun beflissen von Trauerflor und Programmierung redeten, einfach vom Kopfbildschirm.
»Aber du sagst ja nie was. Hast doch heute Morgen auch nur mit dem Kopf genickt, oder?«
Er wurde lauter, hatte sein Glas geleert, machte wieder das Zeichen zu Rigo hin, der hinter seiner Theke das Gesicht verzog.
»Aber hast es ja gepackt. Bist der Türsteher am Hurenhaus, kommen nur die frisch gebügelten Freier und garantiert minderjährigen Stricher rein.«
»Du hast doch auch einen guten Schnitt gemacht. Oder etwa nicht?«
Bentner sprach leise, griff nach seinem Glas. Gorland lachte angemessen kurz und schmerzlos.
»Aber ich hab rechtzeitig die Reißleine gezogen.«
Jetzt leerte auch Bentner sein Glas, wollte aufstehen, spürte Gorlands Hand auf der Schulter.
»Bleib noch«, sagt Gorland überraschend leise. »Tut mir leid.«
Bentner nickte. Schon vergessen. Sie saßen sich eine Weile gegenüber, zwei Männer, die in nun leere Gläser starrten, während sich das Taco’s allmählich mit lustigen und müden Gästen füllte.
»Und wie heißt du in Pixity?«, fragte Bentner.
Gorland lächelte.
»Natürlich pablo_der_maler.«
Beide mussten lachen.
»Wann haust du von hier ab?«
Gorland hörte auf zu lachen.
»Wenn das mit meiner Ex geregelt ist. Ich hab ihr die Hälfte von allem angeboten, ist ihr zu wenig. Sie zickt wie in den guten alten Zeiten. Und du? Schnauze noch nicht voll?«
Bentner hatte sich bei seinem Mittagsgang um den Block an etwas zu erinnern versucht, eine beinahe unleserlich an den Rand einer Weihnachtskarte gekritzelte Zahlenreihe, eine Telefonnummer, Olivias Telefonnummer. Wahrscheinlich war die Karte den Weg aller Karten gegangen, nach Kenntnisnahme geradewegs in den Mülleimer. Er würde zu Hause seine Papiere durchforsten, ohne große Aussicht auf Erfolg.
»Ich hab noch keinen Plan«, sagte er jetzt.
»Ich schon«, sagte Gorland. »Südfrankreich. Das Licht.«
»Hm«, machte Bentner, »Ich wusste ja nicht, dass du mal verheiratet warst.«
»Ich würd’s auch lieber nicht mehr wissen. Trinken wir noch was?«
Natürlich tranken sie noch was. Und Gorland erzählte von Südfrankreich, einem bezahlbaren Häuschen im Hinterland, nicht weit vom Meer, aber weit genug vom Nepp. Von weißen Leinwänden, auf die morgens die ersten Sonnenstrahlen fallen würden. Einfaches französisches Essen mit reichlich Fisch, einen Absinth hinterher, dann zum nächsten Hafen, sich an den Kai setzen und zuschauen, wie nichts passierte, was nicht immer passierte. Sonnenuntergang. Der Mistral.
»Und keinen Computer! Wer mir schreiben will, muss ’ne Marke auf ein Briefcouvert kleben. Höchstens ein altes Telefon mit Wählscheibe, bloß kein Handy. Muss eine Schreckensvision für dich sein.«
War es nicht. Ich verfluche alles Digitale, hatte Bentner soeben gedacht, sehr ruhig, so wie man etwas feststellt, eine rotgeschaltete Ampel, eine bestimmte Auslage im Schaufenster. Ich bin Gott und mein eigener Luzifer, das ist doch normal, dachte er und hörte sofort auf zu denken.
»Lass stecken, ich zahl das«, sagte Gorland, als Bentner aufstand. Der nickte Rigo zu, bekam ein Nicken zurück, drehte sich an der Tür um, hob die Hand, Gorland hob die Hand, ließ sie sinken, legte sie um das wieder volle Bierglas. Dezenter TexMex-Sound, der, als Bentner die Tür hinter sich schloss, plötzlich zu verstummen schien.
Erst daheim fiel ihm ein, dass sie nicht über Weidenfelds Tod geredet hatten. Wozu auch. Einer war gestorben und verschwunden, er hatte sich aus seinem Dasein ausgeloggt, würde sich vielleicht, wenn man an die Wiedergeburt glaubte, unter einem anderen Nick wieder anmelden. Der Gedanke amüsierte Bentner.
Den ganzen Tag über war die Polizei in der Firma gewesen, Bentner bereute es, Sarkovy von Gorlands Streit mit Weidenfeld erzählt zu haben, das hatte die Polizei also inzwischen von ihm erfahren, ganz sicher.
Auch zu ihm war eine Beamtin gekommen, um sich auf Routinefragen Routineantworten abzuholen. Dann hatte sie angefangen, ihm Details zu erzählen, warum auch immer. Durfte sie das überhaupt? Sie beobachtete ihn dabei, jede Regung in seinem
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