Pixity - Stadt der Unsichtbaren
kleinen Raum unerbittlich voll, bis das Wasser zu kalt, die Gedanken zu wirr wurden.
»Ich sag Corinne einfach, du wärst mein Ex und hättest mich aus der Wohnung geschmissen.« Lach. Bentner freute sich, dass sie lachte, ein kurzes Lachen nur, aber immerhin. Sie inspizierte noch einmal ihr Reich, diese ärmliche Studentinnenbude unter dem Dach, die so gar nicht zu Lisa im engen Kleid und den selbstmörderischen Highheels passte. Aber das fiel Bentner erst später ein, mit schrumpeliger Haut im Bademantel am Fenster stehend, von einem Hustenanfall geschüttelt und künstlicher Weihnachtsbeleuchtung bis aufs Blut gequält. Er kämpfte mit diesem fürchterlichen Geschmack des Glühweins im Mund, bekam ihn nicht mehr los, liebäugelte mit einer halben Flasche Ouzo, machte ihr eine Freundschaftsanfrage, die der Ouzo Schluck für Schluck mit einem matten Klick annahm.
Er hatte Lisa nicht gefragt, was sie als NataschaX in Pixity wollte, er hatte sie nicht gefragt, weil er sich selbst vor Fragen fürchtete. Der Schlüssel. Der eingeschaltete Rechner. Nein, sie habe das Passwort nicht gespeichert, logge sich immer wieder neu ein.
»Du solltest die Eingabefenster größer machen«, sagte sie, »das schaffen ältere Damen nicht mehr.« Und wieder: lach. Er hatte zurückgelacht und es ihr versprochen.
Anna14 war on. Sie hockte still in der Aula, von quicken Jünglingen umschwirrt und angesprochen, sie antwortete nicht. Anna14 hatte ein Gesicht und Bentner stellte es sich vor, schnitt es aus den Szenen im Schuhgeschäft und im Café, montierte es vor einen Bildschirm, und vielleicht war es das falsche Gesicht, aber es passte.
In einer anderen Ecke der Aula saß NataschaX. Es war eine spontane Eingebung gewesen, sich mit diesem Nick einzuloggen, das Passwort hatte Bentner aus der Datenbank gefischt, es lautete »Synapse«, typisch Studentin, dachte Bentner.
Anna14: hi natti
NataschaX: hi anna
Anna14: wartest auch?
NataschaX: yep
Anna14: aber die kommt heut glaub ich nich mehr
NataschaX: hm
Anna14: vllt heut spät. aber da darf ich ja nich an pc
NataschaX: ich ja auch nich
Anna14: oh warum nich auf einmal?
NataschaX: wegen ellis. muss auch gleich off
Anna14: aso schade
NataschaX: wartest noch lang auf sie?
Anna14: nee. darf ja auch nich so lang
NataschaX: wollt sie kommen?
Anna14: ?
NataschaX: mein ja nur
Anna14: sie sagt doch nie wann sie kommt
NataschaX: hätt ja sein können
Anna14: ja
Anna14 zu greggbaby: verpinkel dich alter und flüster mir hier nich ohr ab. will dein würmchen nich sehn.
NataschaX: lol. ich auch nich. wirst gemeldet wenn du nich abhaust
greggbaby: drecklesben
Anna14: wiiiiixxxxxa!
NataschaX: hab auch keine lupe dabei für dein würmchen
Anna14: xD
greggbaby: machts euch halt selber saulesben
Anna14: wollten wir grad xD
NataschaX: hehe ja
Anna14: uh mist muss off. meine ma. wenn du sie noch siehst sagst ihr ich wär morgen wieder on soll mir ma pn schicken. bb
NataschaX: oki. bBb. schlaf gut
Anna14: du auch
Mitten in der Nacht wurde er wach. Die Bettdecke lag auf dem Boden, das Kopfkissen am Fußende. Er stand auf, verrichtete ein kleines Geschäft, trank Wasser und rauchte, legte sich ins Bett, es war halb drei. Stille. Er hielt die Luft an. Stille. Er nahm das Kopfkissen und schleuderte es in die Dunkelheit, etwas fiel um.
GOTT ZÜRNT ABERMALS
Am Samstag erwachte Gott mit einem leichten Kater. Es störte ihn nicht. Er fühlte sich gut, er fühlte sich zornig, schwebte als schwarze Wolke über den Dingen, die die seinen waren, schickte Blitze in seine Schöpfung, kicherte wie ein Lümmel dabei. Codezeilen rasten durch seinen Kopf und reinigten ihn.
Gott rasierte sich eine Viertelstunde elektrisch, weil er wie früher die Zeit vergessen hatte, er kicherte wieder, verulkte sein Spiegelbild, produzierte digitale DNA, ordnete Gene.
Dem nächtlichen Kissenwurf war ein Buch zum Opfer gefallen, ein längst überholtes Handbuch für effektives Arbeiten mit Datenbanken. Gott kickte es über den Flur in die Küche und warf es dort in die Tonne. Dann trank er seinen Kaffee und ordnete die Gedanken.
Eigentlich war es keine große Affäre. Die Einlogdaten der Pixies mitsamt den Pixity-Adressen wurden drei Monate lang gespeichert, das erste und das letzte Auftauchen in der Stadt gar unbegrenzt, die Chatinhalte hingegen gar nicht. Einmal geschrieben, bewegten sie sich unaufhaltsam dem Abgrund zu, auch wenn dieser durch den oberen Rand des Bildschirms markiert wurde. Nach drei
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