Pixity - Stadt der Unsichtbaren
Billigheimer, der allerdings hatte Annas Geld in der Kasse klingeln hören können, eine kleine rote Tüte, wahrscheinlich ein T-Shirt für fünf Euro oder ein noch preiswerteres Angebot an Unterwäsche, Söckchen, Taschentüchern.
Dann ging es in einem weiten Bogen zurück zur Bushaltestelle. Die Mädchen stellten ihre Taschen ab, Anna lugte in die rote Tüte, hielt sie Sarah hin, die auch hinein schaute und das, was sie sah, abnickte. Der Bus kam. Bentner war versucht, ebenfalls einzusteigen, Anna weiter zu folgen, ihre Adresse herauszukriegen, am Klingelschild ihren Familiennamen abzulesen. Aber wie irrwitzig war das denn. So blieb er stehen, als sich der Bus in Bewegung setzte, sah ihm nach bis zur nächsten Kurve, wandte sich um und ging zum Parkplatz neben der Schule zurück, wo sein Wagen stand.
Einen Strafzettel hatte man ihm hinter den rechten Scheibenwischer geklemmt. Aber hier kostete Parken doch nichts, oder? Bentner nahm den Zettel, faltete ihn auseinander, es war kein Strafzettel. In kritzeliger Druckschrift stand darauf:
»Na, Anna geguckt, Rick? Böser Bub! Wo doch Lisa auf dich wartet!«
Ihm wurde heiß und seine Füße schienen zu zersplittern.
»Lessingstraße 45, aber fragen Sie mich bitte nicht, in welchem Stock.«
Er hatte natürlich nicht gewusst, wo Lisa wohnte, in der Firma anrufen müssen, die Almuth nie mehr zu verlassen schien. Ein Grund war ihm nicht eingefallen, er hatte Almuth einfach nach Lisas Adresse gefragt, mochte sie sich die Gründe selbst zusammenreimen.
Zuerst roch es wie in jedem Treppenhaus einer betagten Renditeimmobilie, nach strengen Putzmitteln und den verwehten Ausdünstungen der Mittagskocherei. Aber immerhin: Bentner war drin, er stieg die Treppen hoch, Lisa wohnte unter dem Dach. Ihr Name stand ganz oben auf dem Klingelbrett, Bentner hatte auf den Knopf gedrückt, ihn lange unten gehalten, dann noch einmal, drei kurze Töne schnell hintereinander, endlich einen sehr langen, es tat sich nichts. Sein spärlicher Fernsehkonsum hatte schließlich Früchte getragen, man drückt einfach auf alle Knöpfe, wenigstens einmal wird es in der Gegensprechanlage knacken und eine Stimme »Ja?« fragen. »Du, ich bin’s« war der Schlüssel, die Tür begann zu brummen, Bentner drückte sie auf.
Er war nicht fit, das merkte er, oben angekommen. Ausschnaufen und auch hier klingeln. Als sich nichts tat, an die Tür klopfen und sich daran erinnern, welche Szenen sich vor zwei Tagen an Weidenfelds Tür abgespielt haben mochten. Ein leichter Schauer, an dem Bentners angeschlagene Physis die geringste Schuld trug. Eine verschlossene Tür und irgendetwas dahinter, das man nicht entdecken wollte. Einen Moment lang die eigene Panik schelten, Lisa an der Uni, klar, wo sonst, man selbst völlig von der Rolle, ein Mann, der noch einmal gegen die Tür klopfte, beinahe
hämmerte. Die Tür blieb verschlossen, Bentner bekam sein Keuchen nur mit Mühe in den Griff, legte ein Ohr an das Holz, das wahrscheinlich Plastik war oder sonst etwas, das wie Holz aussehen sollte, er hörte ein Geräusch, das ihn zugleich beruhigte und verstörte, ein quietschendes Bett.
Die Vorstellung steigerte seine Panik. Lisa und ein Herr X, beide zeitvergessen, in gymnastische Übungen versunken, ein Trottel, der an eine Tür klopfte, die sich nicht öffnete, deren Klinke man hinunterdrücken konnte, und dann die Tür, die tat, was Bentner aus Kriminalfilmen vertraut war: Sie öffnete sich.
Dann roch es wie in der Unterführung eines längst aufgegebenen ländlichen Bahnhofs, nach gegen die Wand gespritzter Pisse. Bentner stand in einem Flur, der den Namen nicht verdiente, auf quadratischer Fläche, deren Seiten nicht viel länger waren als die darin befindlichen Türen breit. Links mochte das Badezimmer sein, eine Toilette, ein Waschbecken, eine Dusche für Zwergenwüchsige und die Skelette von Topmodels. Rechts eine Art Küche, in der zur Dicklichkeit neigende Bewohner keine Chance hatten, sich um die eigene Achse zu drehen. Auch hier lohnte kein Blick. Denn die Geräusche des quietschenden Betts kamen aus dem Zimmer in der Mitte. Der Uringeruch wurde penetranter.
Und vermengte sich dann mit etwas zunächst Unidentifizierbarem, obwohl Bekanntem, einem vage in der Vergangenheit konservierten Geruch nach Krankenhaus, nach Äther, nach Chloroform, so etwas.
Vier Gliedmaße an vier Bettpfosten, mit verknoteten Geschirrtüchern daran fixiert. Lisa im hellblauen Schlafanzug auf weißem Laken, beide Stoffe mit
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