Pixity - Stadt der Unsichtbaren
guck trotzdem mal«, dann begann sie zu weinen und Bentner ließ sie weinen.
»Hey! Guck mal!«
Lisas Laptop war nicht gestohlen worden. Er lag auf dem Klappstuhl in der Ecke, unter einem Bündel Klamotten, zugeklappt, aber eingeschaltet, Akkubetrieb, im Schlafmodus. Bentner weckte ihn, Pixity baute sich auf, die Seite einer NataschaX, »ja, das ist mein Nick«, sagte Lisa, griff sich das Bündel Kleider, warf es in den Wäschekorb zu den nassen Sachen aus der Duschwanne.
»Ich geh mal runter waschen.«
Auch NataschaX hatte Post vom Fakeduo biene123 und caro_suueess erhalten, ein Blick auf die Taskleiste verriet ihm, dass auch icq und msn installiert waren. NataschaX war 15, besaß eine Menge Freundinnen und Freunde, darunter auch Jana, und Bentner erinnerte sich vage an eine Natascha, die ihn im Park von Pixity angesprochen und gefragt hatte, was man hier so alles machen könne, sie sei ganz neu.
»Kannst du mir sagen, was das soll? Der Lap war aus, ich schwör’s, er stand auf dem Schreibtisch. Und wie ist der Kerl hier überhaupt reingekommen, es gibt zwei Schlüssel für die Wohnung …« Lisa stand auf, ging zum Schrank, kramte in sämtlichen Schubladen, sagte schließlich »hier!« und hielt einen Schlüssel hoch.
»Der andere steckt in der Tür.«
»Genau«, sagte Bentner. »Er steckt in der Tür. Auch gestern Abend, als du ins Bett gegangen bist?«
»Keine Ahnung«, sagte Lisa, »normalerweise schon.«
»Kann nicht«, sagte Bentner, »sonst hätte man die Tür von außen nicht öffnen können. Reingelassen hast du niemanden, also kann der Schlüssel nicht gesteckt haben, du brauchst sowieso ein neues Schloss.«
»Wird dem Hausbesitzer nicht gefallen«, sagte Lisa. »Und meinem Konto auch nicht.«
Er zahle das. Sie sah ihn an, ein paar Sekunden zu lang, sie bedankte sich, nein, das könne sie nicht annehmen, das kam nicht kategorisch, eher pflichtgemäß.
»Ich schlafe heute Nacht bei einer Freundin. Kein Problem. Und am Sonntag auch.«
»Und am Montag rückt ein Trupp an, der das Schloss auswechselt.«
»Ich versteh das nicht«, wiederholte Lisa, fügte ein »Moment« hinzu, öffnete den Kleiderschrank, zog Sachen heraus, Unterwäsche, ein Shirt, eine Jeans, verschwand im Bad. Mach nur, dachte Bentner.
»Ich muss hier raus«, sagte Lisa und begann eine Reisetasche zu packen.
»Okay, ich lad dich zum Essen ein und fahr dich dann zu deiner Freundin.«
»Danke. Erklär mir das bitte.«
Bentner erzählte nichts von seinem eigenen Laptop, der eingeschaltet gewesen war, nichts von den Geräuschen jener Nacht, in der er sich nicht hatte bewegen, nicht die Augen öffnen können. Er verschwieg den Zettel, er hatte sich eine Antwort zurechtgelegt, sollte Lisa danach fragen, warum er überhaupt hergekommen war. Die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, gerade in der Nähe, irgend so etwas, aber Lisa fragte nicht danach. Er dachte an die fehlende Bremsflüssigkeit in seinem Wagen und verwarf den Verdacht gleich wieder, völliger Blödsinn. Er dachte an Weidenfeld, der vielleicht nicht geschlafen hatte, als ihn der Eindringling heimsuchte, er überlegte sich, ob auch Weidenfelds Laptop nicht gestohlen worden war, sondern eingeschaltet.
»Ich kann es nicht erklären, Lisa.«
Er hatte sie zu ihrer Freundin Corinne gebracht, einer üppig gepiercten Riesin, die ihn mit »Ich kann dich nicht ausstehen«-Mimik begrüßte, das kleine Päckchen Lisa in den Arm nahm, mit dem anderen die Reisetasche Bentners Hand entwendete und ihm, als er sein »Tschüss, Lisa« gesagt und die ersten Stufen hinunter gestiegen war, ein stummes »Verpiss dich« in den Nacken tätowierte. Aber schon in Ordnung, dachte Bentner, Corinne schien sicherer als jede Festung. Er setzte sich in seinen Wagen, schloss die Augen und erinnerte sich noch einmal der letzten Tage, nicht zum ersten, nicht zum letzten Mal.
Ihre kulinarische Reise hatte an einem Glühweinstand auf dem Weihnachtsmarkt geendet, von einem Gyrosimbiss zu einer Dampfnudelbäckerei mitten hinein in die unerträglich süße Alkoholwolke. Sie kippten, weil ihnen kalt war, zwei Becher voll hinunter und spülten den Fleisch- und Dampfnudelgeschmack weg, umarmten sich dann irgendwie zwischen erotisch und geschwisterlich, hielten sich zwanzig Sekunden lang so. Es gab nichts zu sagen, weil es so viel zu sagen gab.
»Bring mich bitte zu Corinne, ich bin müde.«
Bentner fuhr nach Hause, telefonierte sofort mit einem Schlüsseldienst, ließ sich ein Bad ein und qualmte den
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