Pixity - Stadt der Unsichtbaren
dunklen Stellen. Bentner zwang sich dazu, nicht hinzuschauen, erneut hatte es ihn in einen Kriminalfilm geworfen, in dem sein Gesicht nicht zu sehen sein würde, denn seine Augen waren die Kamera, die zum Bett zoomten und jetzt seine zitternden, frostkalten Hände zeigten, wie sie sich an einem der Knoten zu schaffen machten, Lisa nacktes rechtes Fußgelenk, noch kälter als Bentners Hand.
Lisa bewegte sich nicht. Ihren Kopf hatte sie leicht angehoben, seine Kamera musterte ein mattweißes Deckenstück. Das rechte Bein war endlich frei, dann der rechte Arm. Die andere Seite. Lisa blieb regungslos, als auch das letzte Geschirrtuch zu Boden fiel, Bentner verharrte neben dem Bett, musste etwas sagen, wollte etwas sagen, was auch immer, und als er zu einem sehr phantasielosen »Mein Gott« ohne Ausrufezeichen ansetzen wollte, sprang Lisa auf, zog mit einem energischen Ruck das Laken von der Matratze und rannte damit aus dem Raum.
Im Badezimmer schepperte es. Die Dusche wurde aufgedreht, das Wasser lief zehn oder fünfzehn Minuten lang, wurde abgedreht, es waren wieder Geräusche zu hören, bis das Wasser abermals zu laufen begann, einen anderen Ton als vorher hatte, als fiele es auf etwas Hohles.
Lisa, in einem schwarzen Trainingsanzug und barfuß, kam zurück in den Raum, in dem Bentner noch immer neben dem Bett aushielt, sie trug einen Eimer in der Linken und einen Schwamm in der Rechten, über den Rand des Eimers schwappte Wasser. Lisa tunkte den Schwamm in das Wasser, scheuerte mit ihm auf dem dunklen Matratzenfleck, sehr mechanisch und gleichmäßig, auf ihrem Gesicht keine Regung erkennbar.
Bentner wurde schlecht. Er stürzte ins Bad, eine Szene, die ihm sehr bekannt vorkam, sah Schlafanzug und Laken in der Duschwanne, vollständig in schäumendes Wasser versenkt. Er klappte den Klodeckel hoch und übergab sich.
Als er zurückkam, hatte Lisa nicht aufgehört, den Fleck mit Schwamm und Seifenwasser zu bearbeiten. Bentner trat hinter sie, nahm ihren Hinterkopf in die Linke, ein starkes Bild vielleicht für die Kamera, doch Bentner kam sich hilflos vor, ziemlich dumm dazu.
»Entschuldige«, sagte er. Es roch jetzt nach Urin, Äther und Kotze, man musste schleunigst lüften.
Lisa richtete sich auf. Bentner nahm die Hand von ihrem Kopf, ging zum Fenster und öffnete es.
»Da gibt es nichts zu entschuldigen«, sagte Lisa mit jener Stimme, die sonst »zwei Brötchen, bitte« sagte, und warf den Schwamm in den Eimer. »Könntest du mir einen Kaffee kochen?«
Die Küche war doch größer als erwartet. Groß genug jedenfalls für einen kleinen Tisch und zwei Stühle in einer Ecke. Dort saßen Lisa und Bentner und tranken ihren Kaffee.
Lisa hatte sich umgezogen, trug nun eine Jeans, einen dicken dunkelroten Pulli, ihre Haare waren nass, ungefönt.
»Heute Morgen«, sagte sie, »frag mich nicht wann, vor sechs oder so, ich bin von irgendetwas geweckt worden, einem Geräusch, und als ich die Augen öffnen wollte, hatte ich diesen Druck im Gesicht und diesen verdammten Geruch in der Nase und dann war ich weg und dann bin ich aufgewacht und du weißt ja wie, hast’s ja gesehen.«
»Ja«, sagte Bentner, »keine Ahnung wer …«
Lisa winkte ab. »Nichts gesehen, überhaupt nichts. Als ich wieder wach geworden bin, war jedenfalls keiner mehr da.«
»Wir sollten jetzt die Polizei rufen.«
»Nein«, sagte Lisa. »Mir ist nichts passiert. Ich bin nicht vergewaltigt worden, das hätte ich nachher gemerkt, glaub mir. Mein Laptop ist weg. Hab ich gleich gesehen. Konnte ja meinen Schreibtisch vom Bett aus sehen, da ist er nicht mehr. War ein altes Ding, ich hab alles Wichtige auf dem Uniserver oder bei euch, also vergiss es. Und Geld kann er nicht viel mitgenommen haben, wenn überhaupt. Du merkst ja, wie ich hier wohne, wenn ich wirklich Geld hätte, würde ich … ach, scheiß drauf, was soll’s, ich vergess das einfach, ich hab ins Bett gepinkelt, hab ich als kleines Mädchen auch mal gemacht, die hielten mich für ’ne Bettnässerin, ist aber nicht mehr vorgekommen. Hab mich so geschämt damals, weißt du, ich glaub, ich war vier oder fünf oder so, und warum ich – na, keine Ahnung, es war wohl eine Entwicklungsphase, aber ich hab nachher nie mehr … und diesmal musste ich halt. Mensch, wie viel Uhr ist es eigentlich, ich hab so Hunger, ach, Scheiße, is’ nix da, ich wollte heute einkaufen, Mensch, verpeilt, guck mal, ob was im Kühlschrank ist, vielleicht ein Joghurt, nee, hab ich ja gestern Abend das letzte,
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