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Plage der Finsternis - Keohane, D: Plage der Finsternis

Titel: Plage der Finsternis - Keohane, D: Plage der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel G. Keohane
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und rollte über die milchigen Blätter, die mit ihrem Umfang den falschen Eindruck einer Tarnung erweckten. Verzweifelt suchte sie nach Deckung, als ein Schatten über sie fiel. Ein Bein senkte sich auf sie, lang und fleischig wie das eines Menschen, aber hundert Mal größer. Aus den Zehen ragten kurze Klauen.
    Das Gewicht der Kreatur presste ihr die Luft aus den Lungen und drohte, sie zu zermalmen. Als Joyce dachte, jeder Knochen und jede Rippe in ihr müssten brechen, hielt das Gewicht inne, drückte jedoch nach wie vor ausreichend herab, um sie auf dem Boden zu halten und ihr den Atem so gut wie abzuschnüren.
    Sally drehte sich um, vermutlich um zu sehen, wohin ihre ›Retterin‹ verschwunden war, und kreischte. Joyce konnte sich nicht bewegen. Sie verrenkte sich den Hals gerade genug, um zu sehen, wie das Mädchen einen halben Schritt rücklings taumelte. Das Gesicht des Monsters war größtenteils von Joyce abgewandt, sodass sie es nur im Profil erkennen konnte; es teilte sich zu einem klaffenden, geifernden Schlund, gesäumt mit unregelmäßigen Reihen gelber Zähne, spitz und fleckig. Joyce konnte weder brüllen, noch atmen, sondern nur hilflos mit ansehen, wie sich das offene Maul auf das Mädchen senkte und sich mit einem feuchten Schnappen schloss. Sallys Hüften und Beine zuckten, als tanzte sie, dann fielen sie von ihr ab. Der breite Kopf des Ungetüms hob sich; Blut strömte über eine aufgedunsene Unterlippe. Das Ding kaute mit so lautem Schmatzen, dass es selbst Joyces Schrei übertönte. Sie fragte sich, ob sie überhaupt einen Ton von sich gab. Vermutlich nicht.
    Schließlich senkte sich das Gesicht wieder und schwenkte in ihre Richtung. Wie die Beine wirkten die Züge beinah menschlich, aber nicht ganz. Dafür waren sie zu breit und fleischig, zudem länglich und verzerrt wie ein von Geschwüren zerfressener Ballon. Die zu kleinen Augen waren oval wie die einer Katze. Die Kiefer öffneten sich erneut; Teile des toten Mädchens fielen heraus oder verfingen sich an den Zähnen und baumelten davon herab. Die Atem- und Schluckgeräusche der Kreatur klangen wie Gelächter.
    Weitere Qualen blieben Joyce erspart. Das Ding lehnte sich auf das Bein vor, das sie festhielt, und stampfte Joyce dadurch in die festgetretene Erde. Ihr Atem spritzte als rote Fontäne hervor, stieg auf, verteilte und verdunkelte sich und rieselte wie ein Leichentuch herab.
    Taub und blind lag sie da, tot, tief in den Dschungelboden gepresst. Rings um sie war nichts. Ihr Leben lang hatte sie sich geirrt. Kein weißes Licht, keine liebevolle Umarmung Gottes am Ende des Tunnels. Nur eine Leere, wie sie im Universum geherrscht haben musste, bevor die Welt mit all ihrem Ach und Weh erschaffen worden war. Würde sie so die Ewigkeit verbringen müssen, das Universum und sich selbst verfluchend?
    Sie griff nach oben, berührte ihr Gesicht. Wie hatte sie das gemacht?
    Über ihr und rings um sie lichtete sich das Chaos des Todes. Etwas schimmerte oberhalb von ihr. Nicht der Tod, sondern die Finsternis zog sich wie eine abflauende Welle von ihr zurück. Es blieb ein öliger Rückstand um Joyces Kopf, der ihre Ohren bedeckte. Dann verschwand auch das. Sie starrte zur Decke empor und wusste, dass dies nicht ihr Haus war, wenngleich es sie nicht mehr kümmerte. Tiefer Schmerz erfüllte ihre Brust und drohte, sie zu ersticken, wie es zuvor der Fuß des imaginären Ungetüms getan hatte. Wie er es nicht getan hatte. Es war nichts geschehen, nur jenes kranke, verdammte Psychospiel, zu dem sie gezwungen wurde.
    Und sie hatte es verloren. Sie hatte sich dazu verleiten lassen, den Glauben zu verleugnen, der ihr über so Vieles hinweggeholfen hatte; dazu, Gott als einen Irrtum, als Wunschdenken zu verfluchen. Während sich die Dunkelheit zunehmend lichtete, schloss sie die Augen und flüsterte: »Lass mich in Ruhe. Lass mich einfach sterben.« Ob sie es zu dem Albtraum sagte, der sie alle gefangen hielt, zu Gott oder zu sich selbst, spielte keine Rolle. Die eigene Stimme zu hören, brach den Bann ihrer Verzweiflung, wenngleich nur ein wenig. Sie schlug die Augen auf und drehte den Kopf erst nach rechts, dann nach links. Dabei stellte sie fest, dass sie mit dem Rücken auf einem dünnen, gemusterten Teppich zwischen einem Kaffeetisch mit Glasplatte und einer abgewetzten Couch mit rauer Beschaffenheit lag. Der Tisch versperrte ihr teilweise die Sicht, aber sie konnte daran vorbei und durch ihn hindurch zu einer Treppe und einer Großvateruhr sehen,

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