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Plage der Finsternis - Keohane, D: Plage der Finsternis

Titel: Plage der Finsternis - Keohane, D: Plage der Finsternis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Daniel G. Keohane
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stehen. Jene Gem dort wirkte anders, jünger. War dies tatsächlich geschehen? War sie eines Nachts nach draußen gegangen und hatte sie hier drüben jemanden erspäht? Vielleicht. Es fühlte sich vertraut an, doch Gem misstraute dem Gefühl. Sie wandte sich wieder Rebecca zu, die mittlerweile die Hände vom Gesicht gelöst hatte und Gem stumm anstarrte. Ihre Züge waren unlesbar, verloren sich in Schatten und Strähnen schwarzen Haars, die ihr über die Augen hingen. Das Licht aus der Küche und dem Kellerfenster umrandete das Mädchen mit einem sanften Strahlenschein.
    Wortlos starrte sie Gem weiter an. Gem räusperte sich und flüsterte: »Geht es dir gut?«
    Rebecca schüttelte den Kopf und senkte das Gesicht wieder in die Hände. Irgendwo im Haus schrie eine Frau.
    Gem schaute auf und rechnete damit, dass Seyha Watts wutentbrannt um das Haus herumgelaufen kommen würde. So hörte sich der Schrei an – nach Wut , nicht nach Angst. Dann ertönte weiteres Gebrüll. Die Stimme eines Mannes mischte sich dazu, die unter der Lautstärke der Frau kaum zu hören war.
    »Was ist denn los?«
    »Nichts«, erwiderte Rebecca durch ihre Finger hindurch. »Alles. Das Ende. Ich habe alles zerstört. Am liebsten würde ich sterben.«
    Weiteres Geschrei. Die Frau kreischte immer noch vor Raserei, doch nun kam etwas anderes hinzu, etwas, das sich beunruhigend anhörte, wenngleich Gem nicht zu sagen vermochte, weshalb. Die Männerstimme wurde lauter. Gem brauchte nicht lange zu überlegen, wem die Stimmen gehörten. Sie bedachte Rebecca mit einem letzten flüchtigen Blick, dann ging sie über das nasse Gras auf das rechteckige Kellerfenster zu. Dies war bei jedem ihrer Besuche im Haus ihr Ein- und Ausgang gewesen. Das Fenster ließ sich nicht richtig schließen; Gem brauchte nur ein wenig am Rahmen zu rütteln, um es zu öffnen.
    Drinnen nahm sie Bewegung wahr. Sie kniete nieder, spähte hinein und erblickte Joyce und Ray Lindu. Während Gem hinstarrte, hatte sie Mühe, in ihrem Gehirn einen Ort für das zu finden, was sie sah. Sie lief rot an und wand sich vor Verlegenheit, doch sie war wie gebannt, konnte nicht wegschauen und begriff allmählich.
    »O mein Gott«, flüsterte sie. »Joyce?«
    Sie verengte die Augen zu Schlitzen, spürte, wie ihr Herz in einem wirren Anflug von Furcht und Zorn zu rasen begann, und zwang sich, noch einige Sekunden zu warten, um sicher zu sein, dass sie tatsächlich sah, was sie zu sehen glaubte. Schließlich griff sie zu dem Schiebefenster, rüttelte daran und öffnete es. Sie steckte den Kopf hinein und brüllte: »Joyce!«
    Seyha stand neben der ersten von drei Kirchbänken. Schwester Angelique kniete vor dem kleinen Sanktuarium und betete flüsternd. Das lange blonde Haar fiel ihr offen über den Rücken. Die dunklen Fenster reflektierten den Schein von Dutzenden Kerzenflammen, die ihre Votivgläser erhellten. Abgesehen von den Kerzen war das Sanktuarium leer. Seyha vermutete, dass sich der verbeulte Klapptisch, der für gewöhnlich als Altar diente, noch draußen befand. Alles im Waisenhaus wurde mehrfach genutzt. Auf dem Boden lagen schlafende Kinder. An der Wand über der jungen Nonne hing ein grob geschnitztes Kruzifix – wobei Kruzifix in diesem Fall ein loser Begriff war. Der sterbende Jesus bestand aus unebenmäßig aufgemalten Pinselstrichen statt aus einer geschnitzten, festgenagelten Statue. Seyha ertappte sich dabei, das makabre Kunstwerk anzustarren, und erinnerte sich daran, welche Angst es ihr als Kind eingejagt hatte. Die Augen – lieblos gezeichnete Schlitze – starrten sie durch angedeutete Lider hindurch an.
    Seyha hatte viele Dinge über diesen Ort vergessen. Dieses Bild hatte zum Glück dazu gehört. Als sie es nun mit den Augen einer Erwachsenen sah, wurde ihr klar, dass sie jedes Recht gehabt hatte, sich vor einem Jesus zu fürchten, der sie durch seine mit Pinselstrichen gemalten Qualen beobachtet hatte.
    Schwester Angelique flüsterte ungebrochen vor sich hin. Da Seyha nicht wusste, was sie sonst tun sollte, ging sie um die vorderste Kirchbank herum, hielt jedoch an deren Ende inne und zögerte, die restlichen Schritte zu der Frau zurückzulegen, die sich so lange um sie gekümmert hatte.
    Die Nonne hörte zu flüstern auf und hob den Kopf. »Bete mit mir, Doung Seyha«, forderte sie Seyha auf, bevor sie die Lippen auf die Fingerspitzen senkte und die Hände zusammenpresste. Dann setzte das Murmeln wieder ein.
    Seyha wollte nicht beten. Zu wem auch? Zu dem Wahnsinnigen,

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