Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Plan D

Plan D

Titel: Plan D Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Urban
Vom Netzwerk:
Nichts, daneben der EastSide-Tower, Wegener versuchte abzuschätzen, wo er vor einer halben Stunde gestanden hatte, in welcher der erleuchteten Überflusskabinen er für zwei Piccololängen Zaungast gewesen war, knabbernd, saufend, träumend. Irgendwo da oben lag Kayser in diesem Moment auf seinem Bett, in Unterhose, ließ sich Filetsteak, Warsteiner und Sachertorte aufs Zimmer kommen, war mitten im Westen im Osten, zappte durch die kostenlosen Porno-Kanäle, Das Anal-Kombinat, Stasischlampen stöhnen leise, Abgehört und Abgewichst, Der kommunistische Manni Fest.
    »Kallweit war vorhin am Werderschen Markt«, sagte Borgs. »Die Parteiführung glaubt natürlich ebenfalls an Gruber, aber sie will es absolut wasserdicht haben. Keine weitere Blamage in der Westpresse. Es geht jetzt also darum, Grubers Aussage zu untermauern.«
    »Oder zu widerlegen.«
    »Im schlimmsten Fall, ja.«
    »Also geht es um die Wahrheit«, sagte Wegener.
    »Es ging die ganze Zeit um die Wahrheit«, sagte Borgs, »und nicht darum, der Staatssicherheit zwanghaft etwas nachzuweisen. Deshalb wurde uns auch Zugang zu dem Zeugen gewährt, den Gruber dem K5 genannt hat.«
    »Er hat was getan?«
    »Er hat den K5-lern von dem Zeugen erzählt, den er euch versprochen hat. Wieso?«
    »Uns hat er erzählt, er schickt eine TNT, wenn er drüben ist.«
    »Dann hat er sich’s wohl anders überlegt.«
    Wegener spürte einen plötzlich einsetzenden Bauchschmerz. Er war nicht sicher, ob das vom Glühwein kam.
    »Alles in Ordnung mit dir?«
    »Was ist das für ein Zeuge?«, fragte Wegener mühsam.
    »Gruber hat in der Brigade offenbar als Helfer eines bestimmten Clusters gearbeitet, so nennen die ihre Untergruppen. Immer drei Mann, die allesamt den großen Plan nicht kennen, damit sie im Ernstfall niemandem was verraten können. Plus ein paar Komparsen, die überhaupt nichts wissen.«
    »Befehlsempfänger«, sagte Wegener, »kommt mir bekannt vor.«
    »Grubers Cluster war offenbar sowohl für Hoffmann verantwortlich als auch für den Palast. Von den drei Attentätern, die an der Ausführung des Anschlags beteiligt waren, ist einer bei der Explosion getötet worden, einer wurde verhaftet, einer konnte entkommen.«
    »So hat er es uns auf dem Schrottplatz erzählt.«
    »Dann weißt du ja schon Bescheid.«
    »Also ist unser Zeuge der verhaftete Attentäter?«
    »Exakt, Detektiv Pinky.«
    »Und der war am Müggelsee dabei.«
    »Das weiß Gruber nicht. Aber der Mann gehörte zur Kerntruppe.«
    »Gut. Dann reden wir mit ihm.«
    Borgs wiegte seinen runden Doggenschädel. »Da liegt der wunde Punkt. Dieser Zeuge sitzt nicht einfach nur ein. Auf den kommt eine Anklage wegen Hochverrats zu, außerdem haben sie Angst, dass seine Leute ihn da rausholen.«
    »Wo ist er? In Bautzen, oder was?«
    »Nicht mal das.«
    »Ich versteh kein Wort.«
    »Dieses Land verfügt noch über ganz andere Kaliber. Dagegen ist Bautzen so gemütlich wie das EastSide.«
    »Was willst du mir sagen, Walter?«
    Borgs schob den halbvollen Grünkohlteller zur Seite und wuchtete seine kurzen Beine auf den wackligen Tisch. »Als du gegen die Dienstvorschriften verstoßen hast, vor einem Jahr, da wolltest du Josef Früchtl finden. Aber nicht nur, Martin. Du wolltest auch etwas über dein Land herausbekommen. Was hinter der Bühne abläuft. Wie dieser Staat arbeitet, um zu überleben.«
    Wegener stellte seine Tasse neben das Sesselchen. »Kann sein, dass ich das wollte.«
    Borgs nickte. »Willst du das immer noch?«
    »Und wenn?«
    »Dann heißt das aushalten, was man sieht.«
    Wegener schwieg.
    »Und noch ein bisschen mehr, Martin. Es heißt auch, sich selbst kennen lernen. Nicht nur sein Land. Auch sein eigenes, seltsames Herz, dessen man sich immer schön sicher sein kann, solange der Kopf noch im Sand steckt. Aber was macht dieses Herz mit einer Erkenntnis? Wie geht es um mit den Dilemmata, die uns das System, in das wir geboren sind, jeden Morgen vor die Haustür legt? Was machen wir mit diesen halbtoten, zuckenden Mäusen?«
    Wegener starrte Borgs an.
    Die Bulldoggenaugen waren geschlossen. Nur der Mund bewegte sich. »Trittst du drauf? Schlägst du die Tür zu? Jemand zwingt dich zu einer Auseinandersetzung mit etwas, das dich quält. Du hast die Maus nicht gefangen und ihr die Gedärme rausgerissen. Das war die Katze. Aber die ist weg. Und auf deiner Treppe stinkt die Schweinerei, vielen Dank. Jemand brockt dir diesen Schmerz und diese Zweifel ein und lässt dich damit sitzen. Immer ist man am Ende

Weitere Kostenlose Bücher