Plan D
Sesselchen. »Wenn du drauf wetten müsstest, wie die Hoffmannsache gelaufen ist, könntest du dich zu irgendwas durchringen?«
Wegener überlegte ein paar Sekunden. »Nein. Kann sein, dass Gruber die Wahrheit sagt. Nur, was sind das für Papiere, die diese Brigadeleute von Hoffmann wollten? Darüber weiß Gruber angeblich nichts. Ziemlich spärliches Mordmotiv, finde ich.«
»Aber die Schnürsenkel machen plötzlich Sinn.«
»Oder gerade nicht. Wenn ich von mir ablenken will, sorge ich dafür, dass die Spuren auf mich zeigen wie blinkende Pfeile.«
»Martin, Martin.« Borgs starrte auf seinen Grünkohlrest. »Du magst die Staatssicherheit einfach nicht.«
»Wenn die Sicherheit nicht mit drinhängt, weiß ich nicht, warum sie diese Akte vor uns verstecken muss.«
»Gysi hat heute bei Kallweit angerufen.« Borgs streichelte immer noch seinen Kugelbauch. »Gestern auch schon. Bei denen ist inzwischen angekommen, dass Hoffmann sich ins Regierungsquartier eingeschleust hatte. Dann der Anschlag. Hier passieren plötzlich Dinge, die bislang undenkbar waren. Die Herren bekommen Angst. Und die Angst dieser Herren ist eine Sorte Angst, für die andere bezahlen. Muss ich dir nicht sagen, tue es aber trotzdem.«
Das Mausgesicht rammte zwei Tassen Glühwein auf den Tisch und hielt die Hand auf. Borgs zählte Münzen ab. Die Bedienung bewegte sich nicht. Unter ihrer spitzen Nase wuchs heller Flaum. Eine Laufmasche nagte an der grauen Strumpfhose. Borgs hatte fertig gezählt, das Geld klimperte in einen Lederbeutel.
Wegener wartete, bis das Mädchen zwei Tische weiter war. »Dann sollten die Herren vielleicht ihren Inlandsgeheimdienst bitten, den ermittelnden Beamten die Akte Albert Hoffmann zur Verfügung zu stellen.«
»Und genau da hakt es.« Borgs angelte sich seinen Glühwein. »Diese Herren wollen gerne alles. Den Polterabend des Jahres, aber das Porzellan bleibt bitte heil.«
»Also können wir die Akte endgültig vergessen.«
Borgs nippte und zog eine Grimasse.
»Wenn einem relevante Informationen vorenthalten werden, wie soll man da arbeiten«, sagte Wegener, nahm seinen Glühwein und trank einen kleinen Schluck. Lauwarmer, süßer Spiritus, in den aus Versehen eine Nelke gefallen war. »Wir haben bislang keine Fehler gemacht. Ich wüsste also nich t …«
»Was ist mit Hoffmanns Tochter?« Borgs’ Glotzaugen schwebten über dem Tassenrand.
»Es gab keinen Hinweis darauf, dass er eine Tochter hat. In der Greifenhagener Straße ist nur er gemeldet, in der Ludwig-Renn-Straße nur Fischer. Vor Blühdorn hatten wir keinen einzigen Zeugen, der Hoffmann persönlich kannte, es wurden keine Dokumente gefunden. Diese Marie heißt auch nicht Hoffmann, sondern Schütz.«
»Das Foto von dem Mädel am Strand«, sagte Borgs, »Strumpfhosen und Tampons und so weiter in beiden Wohnungen.«
»Und Dildos und Handschellen. Alles sagte: Geliebte. Nichts sagte: Tochter.«
»Über fünfzig Jahre jünger, bildhübsch. Irgendwo in seinem Aktenberg hat er garantiert ein Testament, in dem ihr Name auftaucht. Irgendwo hat er ein Familienstammbuch, alte Mitversicherungsdokumente, ihre Minsk-Nummer, ein Fotoalbum, die Kopie der Geburtsurkunde, eine Kinderzeichnung für Papi. Irgendwann in den letzten Jahren hat er ihr Geld überwiesen oder eine Rechnung für sie bezahlt.«
Wegener schwieg.
Borgs trank einen großen Schluck Glühwein und sah aus, als würde er ihn am liebsten zurück in die Tasse spucken. »Was ich sagen möchte, Marti n – wenn die Sicherheit das wüsste, würden die Herren aus Wandlitz dir Fehler und Versäumnisse nachweisen, mangelnden Einsatz, mangelnde kriminalistische Intelligenz, mangelnde sozialistische Gesinnung. Egal, wie groß der Materialberg ist, durch den Frank Stein sich mit drei überarbeiteten Typen fressen muss, egal, ob es nur einen einzigen popeligen Hinweis auf dieses Mädchen gibt, versteckt zwischen den Seiten des neuntausendsten Buchs in Hoffmanns Bibliothek, diese Herren würden dich dafür verantwortlich machen, wenn das plötzlich wichtig wird.«
»Und jetzt?«
»Behalten wir es für uns, du lässt das aus den Akten und arbeitest in die Richtung weiter. Falls was dabei rauskommt, drehen wir es später hin.«
»Ok.«
Borgs stellte die Tasse auf den Tisch und kramte eine Packung Zigarillos aus der Innentasche seines Jacketts.
Hinter ihm war die Fensterfront dunkel geworden. Kaum Verkehr auf der Karl-Marx-Allee. Der silberne Ball des Fernsehturms hing wie eine antiquierte Discokugel im
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