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Plan D

Plan D

Titel: Plan D Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Urban
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der alles bedeckenden Patina aus Rost, Moos, Schmutz und Fett, atmete ihren abgewrackten Reiz durch die Doppelglasscheiben der EastSide - Fassade, hörte das morbide Herzklopfen aus S-Bahn-Qietschen, Motorengeknatter und der dumpfen Stille fernsehturmtiefer Tauchgänge in die dunklen Abgründe einer zerfallenden Metropole, schmeckte zwischen den Erdnussbröseln die öligen Phobosabgase heraus, roch sogar den Zitrus-Staub-Bohnerwachs-Charme des Stasi-Entrées, das frisch gemähte Gras von Marzahn, Karolinas kunstblumiges Action -Deo, Wegener roch sein ganzes Land, den schimmeligen Muff der schwitzenden Altbauten, das Unbeholfene und Zurückgeworfene der Jugend, die Selbstzerfleischung der Oppositionellen, das Poröse und Halbgare der Produktionen und VEBs, das Selbstherrliche der staatlichen Inszenierung, die mandelbittere Frustration einstiger Kämpfer, die überteuerte, sauer gewordene Westsahne in den Intershops, das eiserne Misstrauen der Überwachten, die speckigen Plastikjacken und Pelzkrägen der Alten, den blassen Duft von Nautik-Seife, das harzige, baumwollverstärkte Phenoplast der Phobosse, die nussige Intimwaschlotion Yvette , er roch Kasseler, Broiler, Soljankas, Bino-Soßenwürfel, Würzfleisch, Thüringer Klöße, Leipziger Allerlei, Letscho, die feuchten Füße junger Frauen in braunen Esala-Kunststoffstrumpfhosen, den Pilz zwischen ihren Zehen, die Nässe ihrer haarigen Achseln und Mösen, er roch die blassen Arschritzen des Politbüros, die fade und ausgelutschte Allmacht der Schnüffler, die trügerische Sicherheit der Arbeiter und Bauern, den Grünspan aller zerfressenen Lenin-Bronzen, den schwarz-weißen Taubenkot auf dem Palast der Republik, er roch das unweigerliche Ende, das langsam näher kam und noch so weit entfernt war.
    Wegener setzte den Piccolo an, trank die Flasche leer, ließ sie auf den weichen Teppich plumpsen und stellte sich einen Moment lang vor, wie es wäre, aus dieser Höhe auf den Alex zu springen, stilvoll kopfüber vom 60-Meter-EastSide-Brett, vorbei am Plasma-Mega-Poster,
    DER WECHSEL VON DER PLAN- ZUR MARKTWIRTSCHAFT IST WIE DIE RÜCKVERWANDLUNG EINES OMELETTS IN ROHE EIER Margaret Thatcher
    vorbei an der GOLDKRONE-Leuchtschrift, immerhin, die letzte Werbung dieses Lebens eine Schnapsreklame, dann konsequenter Sinkflug, der ehemalige Mensch, im Moment des Aufschlags schon ein Fleisch-und-Knochenhaufen, für alle Zeit hinüber, einer, der nicht mehr wollte und sich in die Stadttiefe stürzte, als Zuschauer der entsetzte Wurst-Wilfried, Blut und Hirn nicht länger nur in seinem Essen, sondern jetzt auch an seiner karierten Schürze, an den Glutdrähten seines zischelnden Heizsoldaten, an seinem hellblauen Bistro-Wohnwagen und zwar von oben bis unten.
    »Meine Leute glauben Gruber.«
    Wegener drehte sich um. Er sah Kaysers Blick von seinem Gesicht abrutschen, auf die Erdnusskrümel an seinem Kinn, auf das leere Sektglas in seiner Hand, auf den Rotkäppchen-Piccolo am Boden. »Ich weiß nicht mehr, was ich glauben soll«, sagte Wegener.
    »Ich auch nicht«, sagte Kayser. »Ich lass ihn noch mal komplett beim BKA durchrattern, da sind dann auch sämtliche Daten der Landeskriminalämter dabei.« Er drückte auf eine Fernbedienung, der Flatscreen an der Wand hellte sich auf, das Sandmännchen flog in seinem Puppenraumschiff über eine Pipeline, folgte dem Rohr durch endlose Waldlandschaft, lächelte gefroren hinter der kugelrunden Glaskuppel. Wattebauschwolken vor blauem Studiohimmel.
    »Bin mal gespannt, wie es ihm im Westen gefällt«, sagte Wegener.
    »Und ob er am Stück da ankommt«, sagte Kayser, »oder eher handlich.«
    »Was Neues zu Greentec?«
    »Kleinkram.« Kayser wedelte mit einem Notizzettel. »So wie es aussieht, wollten die im Vorfeld der Konsultationen Druck aufs Kanzleramt machen. Der dickste Fisch ist wohl die Nummer von Marie Hoffmann. Hat der gute Doktor Blühdorn uns doch tatsächlich angelogen, der unverschämte Fettsack. Kennt die Tochter nicht nur, telefoniert sogar mit ihr.«
    »Marie Schütz«, sagte Wegener. »Nicht Hoffmann. Vielleicht der Mädchenname der Mutter. Oder sie hat geheiratet.«
    »Schon versucht?«
    »Mailbox. Ich hab ihr eine TNT geschrieben.«
    Kayser setzte sich aufs Bett. »Wenn Richard gleich kommt, muss ich mit ihm noch zu Stasi-Steinkühler. Das wissen Sie, oder?«
    »Jetzt weiß ich es. Worum geht’s?«
    »Ich denke um Fragen der Akteneinsicht. Uns wurde nichts Konkretes gesagt.«
    »Dann können Sie Ihrem Dienst nachher kabeln,

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