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Plan D

Plan D

Titel: Plan D Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Urban
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hinkommen?«
    Schweigen.
    »Frau Schütz, wenn ich die Staatssicherheit informiert hätte, wär Ihr Telefon längst geortet.«
    »Gehen Sie zum linken Durchlass. Verhalten Sie sich, als ob Sie baden wollten und Ihre Handtücher vergessen hätten.«
    »Das heißt?«
    »Lösen Sie eine Kurkarte und laufen Sie bis zu dem weißen Strandkorb mit dem gelben Sonnenschirm davor, der steht von Ihnen aus ungefähr hundertfünfzig Meter links. Sehen Sie ihn?«
    »Ja, aber das ist ein FKK-Strand.«
    »Gut beobachtet. Ihre Entscheidung, in fünf Minuten bin ich weg.«
    »Warum treffen wir uns nicht auf der Brücke?«
    »Das hätten Sie gerne. Vergessen Sie’s, ich kenn die Indianerspiele. Haben Sie Handschellen dabei?«
    »Ja.«
    »Ziehen Sie sich aus und kommen Sie rüber. Die Klamotten bleiben beim Kartenhäuschen, Sie bringen nur Ihre Dienstausweise und die Handschellen mit, sonst gar nichts. Vorausgesetzt, Sie wollen mit mir reden.«
    Jetzt war es Wegener, der schwieg.
    »Ja oder nein, Herr Wegener, wenn Sie überhaupt so heißen?«
    »Ich heiße Wegener.«
    »Wie schön für Sie. Also?«
    »Wir kommen.«
    Es klickte.
    Wegener hängte den Hörer ein und trat aus der Telefonzelle in die Seeluft. Überraschend warmer Algenwind traf ihn, blies Brendels Mantel zu einem hellen Buckel auf, schmeckte nach Salz und trug kreischende Möwen in Richtung Brücke an einen fast menschenleeren Strand. Die spitzen Schreie wehten über ihre Köpfe, gellende, immergleiche Warnrufe, irgendwo zwischen Lust und Schmerz. Silberhaarige Senioren in weißen Hosen und Strickjacken schlichen über die penibel gefegte Promenade, vornübergebeugt, als suchten sie auf den grauen Betonplatten nach einem Sinn für ihr ausgelaufenes Leben, für ihre mit Diktaturen vollgestopften Biografien, dafür, dass sie jetzt in Kurgastuniformen täglich Hofgänge absolvieren mussten. Mutters und Vaters pathologische Utopie, dachte Wegener, ein Bäderdasein in hellen Stoffen, von der frisch geweißten Holzveranda den tiefblauen Horizont im Blick haben und von allem träumen, was hinter dieser Meergrenze auf einen warten könnte. Wenn schon DDR, dann so weit wie möglich am Rand, an der allernördlichsten Kante, ein Logenplatz, um lebensabendlang die Freiheit zu beobachten.
    Brendel machte ein fragendes Gesicht.
    »Sie möchte, dass wir zum Strand kommen.«
    »Wo?«
    »Hier.«
    »Zum FKK-Strand?«
    »Das war von Anfang an ihr Plan.«
    »Warum treffen wir uns nicht auf der Brücke? Da hat sie das Umfeld doch viel besser im Blick.«
    »Komm, bevor die wieder abhaut.« Wegener hatte seinen Mantel ausgezogen und lief quer über den kreisrunden Brückenvorplatz auf das Kurkartenhäuschen zu. »Es geht ihr nicht ums Umfeld, es geht ihr um uns, sie hat Angst, dass wir bis zum Hals verkabelt sind oder dass wir sie mit Chloroformlappen betäuben wollen, was weiß ich. Deshalb Boltenhagen, deshalb der Strand.«
    Brendel war direkt hinter ihm. »Sie will, dass wir sie nackt befragen?«
    »Genau das will sie.« Wegener blieb vor der offenen Tür der Holzhütte stehen. Drinnen schwebte eine aufgeschlagene Volkswacht -Doppelseite über einem verbeulten Frauenunterleib.
    »Kriminalpolizei«, sagte Wegener und hielt seinen Ausweis wie ein Miniatur-Schutzschild vor sich. »Wären Sie bitte so freundlich, für eine halbe Stunde auf unsere Sachen aufzupassen?«
    Brendel setzte sich kopfschüttelnd auf eine Holzbank und fing an, seine Schuhe auszuziehen.
    Die Volkswacht sank im Tempo einer elektrischen Wagenscheibe herab, es erschien ein braunes Großmuttergesicht mit wachen Augen, die ein paar Sekunden lang die Plastikkarte studierten. »Wennse beruflich hier sind, dürfense die Sachen anlassen, Herr Hauptmann.«
    »Heute leider nicht«, sagte Wegener, legte seinen Ausweis auf die Fensterbank der Hütte und begann, sein Hemd aufzuknöpfen.
    »Wiese meinen. Guckt Ihnen ja ooch niemand was weg. Hamse aber Glück jehabt mit dem sonnigen Wetter, ist ja noch ma fast warm heut.«
    »Aber nur fast.«
    Das Großmuttergesicht war schon wieder hinter der Zeitung verschwunden. »Klamotten packense hier auf den Hocker und dann jehensema so durch. Ich seh heut nüscht. Und übermorgen is sowieso Schluss mit die Saison.«
    Brendel hatte seine Sachen zu einem Paket gefaltet und stand unschlüssig in einer Art schwarzem Tanga herum.
    So was tragen sie also drüben, dachte Wegener, zog seinen Gürtel auf, zwang sich wegzusehen, sah wieder hin, Brendel drehte sich um und streifte das knapp sitzende,

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