Plan D
eine 3-Kilo-Wasserbombe, die ihm jemand unter die Bauchdecke genäht hatte. »Diesen Staat kann man nicht besiegen. Selbst dein Vater hat es nicht geschafft, und er hat sich wirklich Mühe gegeben.«
»Hat er. Aber manchmal müssen Kinder die Kriege der Eltern zu Ende bringen. Denk an George Bush.«
Wegener lächelte.
Marie lächelte auch. »Weißt du, warum du unglücklich bist, Alfons?«
»Die Spannung steigt.«
Maries hübscher Spott war wieder da. »Weil du lavierst und taktierst, statt einem geraden Weg zu folgen. Du bist wie ein Buschkämpfer. Auf Trampelpfaden unterwegs, die sich durchs Unterholz schlängeln. Du denkst, die Heimlichkeit schützt dich, damit du hier und da ein bisschen bescheißen kannst, im Rahmen deiner mäßigen Möglichkeiten. Dabei bist du nicht unsichtbarer als ein Kind, das sich die Hände vor die Augen hält. Also kannst du auch gleich geradeaus gehen. Dann kommst du schneller ans Ziel und fängst dir keine Zecken, alles viel einfacher. Glaub mir, ich hab’s probiert.«
»Wer durch’s Unterholz geht, findet Pilze.«
»Und vergiftet sich.«
»Nicht, wenn er sich auskennt.«
»Mister Myzel rettet die Welt.«
»Du bist noch zu retten, Marie, wen n …«
»Falsch. Es muss heißen: Dieses Land ist noch zu retten.«
» … du dich da raushältst.«
»Glaubst du.«
»Ich könnte dir helfen.«
»Liegt gefesselt im Stadtforst, blutet wie die zersägte Brigadeführerin aus Grenzkommando des Grauen s 3 und will mir helfen.«
Wegener grinste trotz der Schmerzen. »Scheißfilm, oder?«
»Noch schlimmer ist nur Die Daumenschrauben-Doktrin .«
»Was willst du machen, wenn du die Unterlagen hast?«
»Warum sollte ich dir das erzählen, alter Mann?«
»Vielleicht, weil wir uns inzwischen schon duzen.«
Marie lachte. »Süßer, hier duzen sich gerade streichzarte Butter und heiße Pfanne, falls dir das nicht aufgefallen ist.«
»Du weißt doch, wie es mit den Gegensätzen läuft«, sagte Wegener, »sie sind dazu gemacht, sich aufzuheben oder anzuziehen. Aber in beiden Fällen müssen sie dafür zusammenkommen.«
»Wenn er nicht mehr weiter weiß, fängt er an zu flirten.« Marie kam näher. In ihren Spott mischte sich jetzt ein Hauch von erwachendem Interesse. »Kannst du dir nicht denken, was ich mit den Dokumenten mache?«
»Du gibst sie der Westpresse. Genau, wie dein Vater es vorhatte.«
»An der Stelle muss ich wohl geflunkert haben.«
»Du flunkerst ziemlich viel. Wie hält es dein Freund mit dir aus?«
»Das war ein bisschen zu auffällig.«
»Sag es mir.«
Marie ging in die Hocke und sah Wegener an. »Es geht um die Zukunft des Sozialismus und die liegt im Posteritatismus, in eine r …«
»Kenn ich, die Leier.«
»Dann bist du ja vorbereitet, wenn es so weit ist.«
»Wem willst du die Unterlagen geben, Marie?«
»Lafontaine.«
Über ihnen drehte der Wind auf, fuhr in die fast kahlen Baumkronen und schüttelte ein paar letzte Blätter heraus, die als träger, gelber Schneefall herabsegelten.
Wegener spürte, dass ihm schwindlig wurde. »Waru m …«
»Er wartet schon drauf.« Die Entengrützeaugen funkelten. »Lafontaine und Gysi. Zwei Anführer, ein Ziel. Verstehst du, Alfonso? Verstehst du endlich, was der Pla n D wirklich ist?«
Wegener starrte Marie an.
»Ich helf dir, du Kopfnuss. Es geht um die Wiedervereinigung. Um ein geeintes Deutschland unter dem Dach eines reformierten Sozialismus! Eines demokratischen, ökologischen, wohlhabenden Sozialismus, wie ihn die Welt noch nicht gesehen hat. Das war von Anfang an das Ziel.«
»Aber wi e …«
»Ja, aber wie?, fragt sich die Butter, und die Pfanne antwortet: Ganz einfach, mit den Unterlagen aus der Zeitkapsel. Krenz tritt ab, Gysi übernimmt. Alles ist vorbereitet, Alfons, im Westen und Osten, alle stehen Gewehr bei Fuß, die Wiedervereinigung im Posteritatismus ist das Erbe meines Vaters, und dagegen wird keine Stasi und kein Hauptmann was unternehmen, in einer Woche geht Lafontaine damit an die Presse, noch vor den Konsultationen ist Gysi Interims-Staatsratsvorsitzender, in einem Monat wird ein 10-Punkte-Plan vorgestellt, der eine Anpassung der Wirtschaftssystem e …«
»Dann grab mal schön weiter.« Wegener nahm seine allerletzte Kraft, seine allerletzte Wut zusammen und lachte ein bisschen.
»Muss ich vielleicht gar nicht.« Marie näherte sich, stand über ihm, ging in die Hocke, eine Vanillewolke begleitete sie, ein lässiges Lächeln auch, Marie kniete auf seiner Blase, dann auf seinem
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