Plan D
Buchstaben in die Nussbaumpaneele eingelassen waren: WELTSAAL. »Nicht, dass Ihr Telefon da drin losgeht.«
Wegener holte sein Minsk aus der Hosentasche, entriegelte die Tastensperre und klickte auf das Postsymbol. U. Lienecke hat Ihnen eine TNT geschrieben , dann lief die Textnachricht durchs Display: Heute Vormittag Zeit für erneute Tatortbegehung? Das E-Ministerium macht Druck, den Sperrbereich aufzuheben. Gruß, U. Wegener drückte auf Antwort-Auswahl: Ich habe Ihre Nachricht erhalten, rufe später zurück und stellte den Klingelton ab. »Was heißt das, die schlimmste Sorte Ärger?«
»Internationaler Ärger. Geld-Ärger. Hängt mit der Sache zusammen, die Sie gestern übernommen haben.«
»Und die ich heute abgebe.«
Schmiechens braune Hand lag schon auf der Klinke. »Tipp von mir, lassen Sie sich nicht verrückt machen. Ist ungewöhnlich für Sie, so ein Rahmen, das wissen die auch. Los geht’s.«
Die Tür schwenkte geräuschlos auf.
Eine Turnhalle, dachte Wegener, eine Turnhalle, in der geraucht werden darf, mit riesigen, glitzernden Lüstern und ohne Turner, nur eine lange Tafel in der Mitte, dunkle Anzüge, auf denen sich synchron die Köpfe drehten, zwanzig ausdruckslose Gesichtskreise, knarrendes Parkett, in das helle Vierecke eingelassen waren, die Decke ein abgehängter Orkus aus Balken und breiten Sprossenoberlichtern, der endlose Weg bis zu diesem Endloskonferenztisch, ein Eindringling im ewigen Anmarsch, ausgiebig begutachtet, genau erfasst, längst durchschaut bevor er da ist, die weiche, braune Hand im Rücken, die mit freundschaftlicher Entschlossenheit anschob, bis ins Tafelzentrum, zwei freie Plätze, gegenüber: Borgs und Kallweit.
Wegener schnupperte. Er stand vor einer Wand aus Männerschweiß und Zigarettenqualm.
Riecht nach politischer Umkleidekabine, sagte Früchtl.
Kallweit und Massow nickten. Kallweits dunkle Augenränder wie eine Comic-Einbrecher-Maske. Jemand hatte Borgs in ein weißes Hemd gesperrt. In seinem Doggengesicht zwinkerte etwas.
Ein hellblonder Mann mit randloser Brille am rechten Ende der Tafel, ein feister Kugelkopf am linken. Hinter dem Kugelkopf bedeckte eine Weltkarte die gesamte Turnhallenwand: graues Meer, dunkelgraue Kontinente. Die Sozialistische Union, China, Nordkorea, Griechenland und Kuba leuchteten golden.
»Volkspolizei-Hauptmann Martin Wegener«, sagte Schmiechen, als präsentiere er eine Erfindung, von der er nicht ganz sicher war, ob sie auch wirklich funktionierte.
»Martin Alfons Wegener.« Der Hellblonde. Über Deckenlautsprecher, mit metallischer Stimme. Gebogene Mikrofonfühler, die vor jedem Platz aus dem Tisch wuchsen.
»Generaloberst Heribert Steinkühler«, erklärte Schmiechen leise, »erster Stellvertreter des Ministers für Staatssicherheit.«
»Nehmen Sie doch bitte Platz, Herr Wegener.« Steinkühler sortierte ein paar Papiere, zog in kurzen Abständen an seiner Zigarette. Der Glutpunkt pulsierte wie ein kleines, heißes Tier.
Wegener setzte sich.
Schmiechen setzte sich neben ihn.
Auf dem Tisch halbvolle Aschenbecher und kleine Gruppen Limonadeflaschen, BIONIER-Brause, Rhabarber und Walderdbeere. Die Sorten, die in keiner Delikat-Filiale zu kriegen waren.
»Wegener, Wagner, der Radmacher.« Eine dunklere Stimme, genau so metallisch. Schmiechen nickte nach rechts. Der Kugelkopf vor der Weltkarte. Auf der Kugelkopfglatze lagen ein paar sehr einsame, sehr dunkle Haarsträhnen. »Oder der Erfinder des Rads. Also der Mann, der dafür sorgt, dass die Dinge ins Rollen kommen.«
»Dr . Wolfgang Münzer«, flüsterte Schmiechen. »Volkskommissar für innere Angelegenheiten im Zentralkomitee.«
Steinkühler kramte immer noch.
Wegener betrachtete den Rest der Truppe. Die Anzugmänner saßen so steif am Tisch, als hätte das ZK eine Riege Schaufensterpuppen abgestellt, um die Runde zu vergrößern. Fünfzehn Gesichtssteinbrüche. Kein Steinbruch zeigte die kleinste Regung. Keiner der Typen notierte etwas. Keiner rührte einen Finger. Keiner rührte eine BIONIER-Brause an. Die Hälfte rauchte, das war alles. Namenlose Bürokraten, die man sich nicht einprägen konnte, weil sie borgsstumm blieben. Einer mit Halbglatze, einer mit Schnurrbart, drei Braunblonde. Ein Braunblonder mit etwas längeren Haaren, einer etwas jünger mit großen Ohren und einer Warze neben der Nase. Schon in zwei Stunden waren diese Bratzen vergessen, nicht wiederzuerkennen, untergegangen in der Gesichtermasse Ostberlins.
Lass sie keine Emotionen spüren,
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