Plan D
noch nicht abschließend feststellen«, sagte Steinkühler. »Es spricht aber in der Tat einiges dafür.«
»Wir gehen momentan davon aus«, sagte Münzer.
Steinkühlers Zähne blinkten wieder. »Sehen Sie, Genosse Wegener, die imperialistischen Journalisten versuchen seit zwanzig Jahren, die Mitarbeiter der Staatssicherheit und die Institution als solche, sagen wir mal, in Misskredit zu bringen. Das ist natürlich leicht, bei der Vorgeschichte, die der Apparat nun mal hat. Dabei wird absichtlich übersehen, dass wir eine vollständig neue Behörde sind, personell wie rechtlich, mit einem stark veränderten, übrigens auch stark eingeschränkten Auftrag. Ein Inlandsgeheimdienst, wie ihn die BRD, Großbritannien, die USA schon immer besitzen. Wussten Sie eigentlich, dass nach unseren internen Schätzungen rund 25 0 Agenten des Bundesnachrichtendienstes verdeckt in staatlichen Einrichtungen der DDR arbeiten?«
Wegener schüttelte den Kopf.
Falsch, sagte Früchtl, keine Bewegung, selbst ein Kopfschütteln oder ein Nicken gilt hier drin schon als ein vollständiger Satz, guck dir Borgs an, die kleine, fette Salzsäule, der macht’s richtig!
»Es ist aber die Wahrheit, Herr Hauptmann. Auch wenn sie nicht in das Bild passt, das sich die Menschen gern vom Westen machen. Wir alle hier im Raum wissen: Die heutige Staatssicherheit ist ein völlig harmloses Organ. Kleiner und strenger kontrolliert als die meisten vergleichbaren Einrichtungen.«
Wegener nickte.
Früchtl stöhnte.
»Wir wissen ebenfalls, dass die Dienste in ihrer praktischen Arbeit immer wieder die Grenzen der Legalität berühren, ich sage, berühren müssen, die der USA übrigens deutlich häufiger als alle anderen. Das schließt aber nicht die Ermordung von Bürgern unseres Landes mit ein. Das System Mielke existiert seit mehr als 2 0 Jahren nicht mehr. Der SPIEGEL lügt, und ab Montag können wir mit gutem Gewissen sagen: wie gedruckt.«
Gehorsam gehüsteltes Gelächter der Anzugträger.
»Wir hatten bereits in Erwägung gezogen, dass es sich bei dem Mord um den Versuch handelt, der Staatssicherheit etwas anzuhängen«, sagte Wegener. »Bislang fehlte allerdings die Öffentlichkeit.«
Dann eben nicht, sagte Früchtl und entfernte sich beleidigt, diffundierte durch die Weltkarte nach draußen, um an der frischen Luft eine seiner stinkenden Zigarren zu rauchen.
»Die wird es dank des SPIEGEL ab Montag geben«, sagte Münzer. »Claus Kleber lehnt natürlich ab, die Auslieferung des Hefts zu stoppen. Im Westen nichts Neues, sozusagen.«
Leises Murmeln der Anzugträger.
»Gestern Abend hat der Staatsratsvorsitzende mit Bundeskanzler Lafontaine telefoniert«, sagte Steinkühler, »Sie werden wissen, Genosse Wegener, dass die Wiederaufnahme deutsch-deutscher Gespräche von Seiten Westdeutschlands seit der Ära Schäuble an sogenannte Rechtsstaatlichkeitskriterien geknüpft ist. Die BRD achtet übrigens sehr besorgt darauf, dass andere Länder diese Kriterien erfüllen, während sie sich selbst nach Belieben darüber hinwegsetzt. Wie dem auch sei, zu besagten Kriterien gehört unter anderem die Verankerung der Staatssicherheit als verfassungskonform operierender Inlandsgeheimdienst in den Berliner Verträgen von 1994. Und die Verfassungskonformität schließt selbstverständlich Mord als Mittel der Selbstverteidigung der Deutschen Demokratischen Republik aus.«
»Nun fragen Sie endlich, Wegener!« Münzers Stimme schepperte. Ein ärgerlicher Gott, der von weit oben seine dumpfbackige Schöpfung anraunzt. »Ich warte schon, seit Sie reingekommen sind!«
»Warum bin ich hier?«
»Vermutlich, weil Sie vorgestern Bereitschaft hatten«, sagte Münzer und deutete mit einer dicken kleinen Hand ans andere Tischende. »Jetzt kommt der spannende Teil.«
Steinkühler nahm die Brille ab und putzte sie akribisch mit einem weißen Taschentuch. »Lafontaine ist der DDR wohlgesonnen. Trotzdem musste er dem Staatsratsvorsitzenden gestern Abend mitteilen, dass die Konsultationen nicht stattfinden können, so lange die Angelegenheit Hoffmann nicht restlos aufgeklärt ist. Weil, Zitat, der westdeutschen Bevölkerung sowie den Bündnispartnern nicht vermittelbar sei, dass die Bundesrepublik mit einem Land Milliardengeschäfte abschließe, welches möglicherweise gegen internationale Menschenrechtskonventionen verstoßen habe. Ganz zu schweigen davon, dass Hoffmann ursprünglich westdeutscher Staatsbürger war. Nun wissen Sie besser als ich, Genosse Wegener, dass eine
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