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Plan D

Plan D

Titel: Plan D Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Urban
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auf den Friedhof kommen und dann liegen dort Fremde. Vielleicht die Fingerhuts, hatte Wegener gesagt, und seine Mutter: Wenn das passiert, erscheine ich dir!
    Wegener blieb liegen und dachte an seine Eltern, an ihre Fotoalben mit den datierten, penibel beschrifteten Urlaubsbildern, an die Tage und Wochen seines Lebens, die er liegend auf der Hannibalrückbank verbracht hatte, ein sorglos Reisender in dem immer gleichen, kindlichen Irrglauben, das alles würde nie aufhören, ginge ewig so weiter, bliebe ein Dasein ohne Schmerz und Verlust, fröhlich und uneinsam.
    Der Wagen bremste scharf, die Sirene schraubte sich jaulend herab, enttäuscht darüber, dass schon wieder Schluss sein sollte. Der Chauffeur sah im Rückspiegel niemanden mehr sitzen und fragte mit mühsam kontrollierter Verwirrung in der Stimme nach dem Herrn Hauptmann , als könnte ihm der Herr Hauptmann während dieser irrsinnigen Raserei irgendwo aus dem Auto gerutscht sein.
    Wegener raffte sich auf, schickte die Eltern in den Hinterkopf und kletterte durch die Tür, die der erleichterte Vollbart aufhielt. Vor ihm erhob sich der Naziklotz, streng und allmächtig mit seinen Säulenandeutungen, den langen, eintönigen Fensterreihen, der geriffelten Traufkante, eine unauffällige Wucht, bedrohlich, ohne direkt brutal zu sein, zurückhaltend und trotzdem auf penetrante Art präsen t – besser hätte sich das Zentralkomitee nicht unterbringen können, dachte Wegener. Das eiserne Ei prangte fünf Meter hoch an der rechten Gebäudekante, gefüllt mit zum Kranz gewundener Schrift, Sozialistische Einheitspartei Deutschlands , in der Mitte der harte Handschlag, die eckigen Fingerlinien, die vor lauter Logoabstraktion zum irritierenden Raster wurden, zu einem in sich verschobenen Gefängnisgitter. Rostwasser war von den Händen und Buchstaben nach unten gelaufen, eine dunkle Tränenspur am hellen Mauermassiv. Neben der breiten Treppe zum Haupteingang ragte eine Granitstele aus dem Pflaster, darauf Honeckers Steinkopf, strenger Blick durch die Hornbrille. Auf seiner Nase ein Taubenschiss.
    Wegener nickte dem Chauffeur zu, ging an den beiden schrankförmigen Uniformierten von der Personenschutzstaffel vorbei, stieg die Stufen hinauf, noch zwei schwarz gekleidete Schränke, die ihn stumm passieren ließen, kein Borska-Scanner nötig, eine bronzene Türfront und dahinter die Empfangshalle, kalt und leer. Wände aus polierten Granitplatten, bronzene Aufzugtüren, eine despotische Echtledersitzgruppe, die aussah, als würde sie jeden verschlucken, der in ihr Platz nehmen wollte, ein lebloser Großbildfernseher, sonst nichts.
    Die Aufzugtüren öffneten sich geräuschlos und gaben einen jungen, sorgfältig gebräunten Mann frei.
    So sehen sie aus, die Karrieremenschen der DDR, stellte Wegener fest, gesunder Teint, der Klassenunterschied der klassenlosen Gesellschaft, wer raus darf, kriegt Farbe und dunkle Gelhaare, wird zum Pigmentprotz im Nadelstreifenstoff mit schwarzer Designerbrille, das einzig Abgetragene ist sein Lächeln.
    »Hauptmann Wegener?«
    »Guten Morgen.«
    »Richtig, guten Morgen erst mal!« Der Gebräunte hatte weiche Hände, die kräftig zudrücken konnten. »Schmiechen, Staatssekretär für den Bereich operative Kooperation im erweiterten Zentralkomitee der DDR.«
    »Langer Titel.«
    »Ja, nicht?« Schmiechens Lächeln dimmte runter. »Herr Hauptmann, es gibt Ärger. Kommen Sie bitte.«
    »Ärger für mich? Dann geh ich lieber wieder.«
    »Was? Nein, Ärger für uns alle.« Eine weiche Hand schob Wegener in den wartenden Aufzug. Dunkle Täfelung, bronzener Handlauf. Kein Spiegel. Die Türen schlossen sich, die Kabine summte nach oben, stoppte, die Türen gingen auf, der Gebräunte marschierte schweigend einen breiten Flur hinunter, Wegener blieb neben ihm, noch zwei Personenschutzschränke, die jetzt freundlich nickten, dazu der Duft von Möbelpolitur, ein Rondo-Kaffeeautomat. Großformatige Ölbilder zeigten Arbeiter an Maschinen, kleine und große Zahnräder griffen ineinander, klobige Fäuste, rote Fahnen, entschlossene Gesichter, der Blick nach oben, gelbe Felderlandschaft, aus der lange Schornsteine ragten. Der verheißungsvolle Produktionsrauch, der einmal aus ihnen aufgestiegen sein musste, war mit kräftigem Blau übermalt. Die frischen, rauchsäulenförmigen Himmelflecken glänzten auf der matten Leinwand.
    »Welche Sorte Ärger, Herr Schmiechen?«
    »Die schlimmste Sorte.« Schmiechen stoppte vor einer hohen Tür, über der bronzene

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