Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Plan D

Plan D

Titel: Plan D Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Urban
Vom Netzwerk:
danebengeht, dann kann es sein, dass auch Borgs irgendwann den Mund aufmachen muss. Aber nicht um zu lachen.
    Als sich die schwere Holztür mit leichtem Quietschen öffnete und Kallweits Wichtiggesicht freilegte, lehnte Lienecke schon wieder lässig an einer der Pumpen und sah aus, als hätten ihn Autos noch nie interessiert. Jocicz stand am Seziertisch stramm.
    »Meine Herre n – wir haben Verstärkung bekommen.« Kallweit machte eine Handbewegung wie der Quizzmoderator der Kollektivgewinn-Gala , wenn er den wöchentlichen Hauptpreis enthüllte, einen neuen Phobos Flux G L II mit elektrischem Phenoplastverdeck in Florena-Blau.
    Hinter Kallweit kam Borgs, nickte stumm in die Runde, dann erschien ein großgewachsener, schlanker Mann mit grauen Haaren. Schönling, dachte Wegener, ein paar Jahre älter als ich, trotzdem mehrere Kategorien besseraussehend, Kommissarsschauspieler, einer, aus dem was wird, weil er so aussieht, als müsse was aus ihm werden. Der Schlanke sondierte. Ein Blick aus hellblauen Augen schwenkte durch den Raum, pendelte in aller Ruhe von Lienecke zu Jocicz zu Wegener zur Leiche und wieder zurück. Nicht freundlich, nicht unfreundlich.
    Obwohl Wegener seit dreiundzwanzig Jahren nackte Tote in der Gerichtsmedizin liegen sah, kam ihm der bleiche, aufgesägte Hoffmann plötzlich entwürdigt vor. Als gehöre Brendel einer anderen Lebensform an. Als sei es grober Verrat, dieser anderen Lebensform einen der eigenen Männer so bleich und aufgesägt zu präsentieren. Dabei kam Hoffmann ja aus Heidelberg. War also einer von denen. Wegeners Blick streifte die spitzen Hüftknochen, den schrumpeligen Penis, der wie ein verendeter Nacktmull in seinem Nest aus grauem Schamhaar lag, die längliche Vorhaut, die sich vorn zu einem farblosen, fleischigen Knoten verdickte.
    »Richard Brendel«, sagte der Schlanke, ging mit großen Schritten in Richtung Seziertisch und wurde sofort zum Eroberer, zum Initiator, zu einem Guterzogenen, der den Anfang gemacht hatte, während alle anderen stehen geblieben waren, statt ihren Gast zu begrüßen. Null zu eins.
    Gerade erst angepfiffen und schon liegt der Westen vorne, dachte Wegener und fragte sich, ob Jocicz immer noch so kräftig zudrückte wie vorgestern oder ob dieser Kraftaufwand für die ostdeutschen Kollegen reserviert war. Bevor Brendel ihn erreichte, kam sein Eau de Toilette an. Schwerer, süßer Duft, der irgendwas von Bonbons hatte. Eine Lakritznote. Ein bisschen Rose. Ein bisschen Brausepulver. Wegener merkte gleichzeitig, dass er diesen Duft mochte und dass es ihn ärgerte, dass er diesen Duft mochte. Dann griffen die Hände ineinander, ein normaler, fester Druck, ein kurzer Blick in die Blauaugen. Brendels Mund lächelte ein feines Lächeln. Oder der Mund war so geformt, dass er aus der Nähe fein lächelnd wirkte. Zu dem Besitzer dieses Mundes musste man aufsehen. Eins fünfundachtzig mindestens, vielleicht eins neunzig. Die Gesichtszüge eine gutaussehende Festung, hinter der alles Mögliche stecken konnte. Der Kapitalismus hatte nicht nur mehr Beinfreiheit, er roch auch besser.
    Der zweite Mann, der jetzt händeschüttelnd die Runde machte, sah aus wie ein intellektueller Schläger. Kräftiger Körper, geschorene Glatze, randlose Brille. Kein feines Lächeln, sondern ausdrucksloser Ernst. Oder eine Spur Herablassung. Oder, dachte Wegener, man deutet die Herablassung nur in so ein Westgesicht hinein, weil man sie genau dort erwartet.
    »Regierungsrat Doktor Christian Kayser, unser Verbindungsmann beim Bundesnachrichtendienst«, sagte Brendel. Kayser blieb so regungslos, als müsse er sich noch selbst an seinen Titel gewöhnen. In der randlosen Brille spiegelten sich die Strahler des Seziertisches.
    Das ist er also, dachte Wegener, der zweihunderteinundfünfzigste BND-Mann in der Deutschen Demokratischen Republik.
    Kallweit stolzierte in die Mitte des Raumes. Ein Gockel, der sich ab sofort an seinem eigenen Pathos berauschen würde.
    »Meine Herren, außergewöhnliche Umstände haben immer schon außergewöhnliche Maßnahmen erfordert.« Kallweit machte ein konzentriertes Gesicht, das so tat, als habe er nicht schon stundenlang über seine Ansprache nachgedacht. »Das hier ist sicherlich die außergewöhnlichste Maßnahme meiner Amtszeit. Aber sie ist nicht nur von unserem Staatsratsvorsitzenden und vom Kanzleramt in Bonn einvernehmlich gewünscht und somit die erste polizeiliche Ermittlung in der Geschichte unserer beiden Staaten, in deren Verlauf

Weitere Kostenlose Bücher