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Plan D

Plan D

Titel: Plan D Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Urban
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einer alten DDR-Serie«, sagte Lienecke. » Das unsichtbare Visier . Gut vorbereitet, der Mann.«
    Kayser ließ seine Augenbrauen wieder herunter. »Muss ich nicht kennen.«
    »Müssen Sie nicht«, sagte Lienecke. »Kulturgut des Ostens.«
    Brendel hörte zu, bedankte sich, drückte das Gespräch weg. »Wir haben einen ehemaligen Mitarbeiter von Hoffmann ausfindig gemacht, aus seiner Zeit im Westen. Einen Doktor Werner Blühdorn. Wohnt immer noch in Heidelberg, soll aber am 24. einen Vortrag an der Humboldt-Universität halten.«
    »Zufälle gibt’s«, sagte Kayser.
    Borgs war von seinem Trafokasten aufgestanden. »Herr Jocicz, bitte erklären Sie unseren Kollegen aus Westdeutschland noch einmal die pathologische Faktenlage. Ihre Leiche wird ja langsam warm.«
    Immerhin, dachte Wegener, zwanzig Worte.

9
    D as dämmrige Berlin machte es Borgs nach und hielt die Klappe, bewegte sich wie immer, sagte aber keinen Ton, sein ganzes nörgelndes Geknatter ausgesperrt von gepanzerten Türen und Scheiben: S-Guard Sonderschutzausstattung. Kleine Lederaufnäher in der Seitenverkleidung.
    Wegener beugte sich nach vorn und starrte über Kaysers Schulter auf die Tachoscheibe: ein safrangelb hinterleuchtetes Halbrund, die letzte Zahl rechts unten hieß 340. Die letzte Zahl auf einer plump von oben angestrahlten Phobos-Tachoscheibe hieß 170. Genau die Hälfte. Die höchste Geschwindigkeit, die ein Phobos ereichte, lag noch mal zehn bis zwanzig km/h darunter, je nach Zuladung. Wegener ließ sich wieder in die hellen Lederpolster der Rückbank sinken. Ihm fiel der schlechte Witz ein, dass der Phobos auf westdeutschen Autobahnen schon viele VWs hinter sich gelassen habe. Wenn er auf einem Mercedes-Abschleppwagen an ihnen vorbeigezogen sei.
    »Ach so, Sitzheizung, Herr Wegener?« Brendel drehte sich halb nach hinten. »Dieses Leder ist ziemlich kalt.«
    Wegener überlegte zwei Sekunden lang, ob die Frage ernst gemeint war. Brendel sah aus, als ob er sie ernst gemeint hätte.
    »Aber nur, damit Ulf Lienecke sich schwarz ärgert.«
    »Ich stell sie Ihnen auf Stuf e 3. Wenn das zu warm ist, sagen Sie Bescheid.«
    Wegener machte ein zustimmendes Geräusch und fragte sich, ob man einem westdeutschen Polizeikollegen einen zu heißen Hintern beichten konnte. Vermutlich war das unmöglich.
    Brendel bremste den Wagen sanft und stoppte. Wie an den Ampeln vorher blieben die Menschen stehen, gafften, glotzten, sahen aus, als wäre gerade die Mauer umgekippt. Einige staunten mit offenem Mund. Der Fahrer eines uralten Wartburgs hatte seinem Rückspiegel offenbar nicht geglaubt, war ausgestiegen, stand entgeistert vor der glänzenden Motorhaube. Der Stern ein Fadenkreuz, das auf sein Geschlecht zielte. In den Gesichtern der Passanten Begeisterung, Entsetzen, Häme. Ein älterer Mann wandte sich ab.
    Brendel und Kayser schwiegen.
    Wegener merkte, dass er sich schämte. Für diese Gaffenden, die hier Kreuzung für Kreuzung den Wagen umlagerten und ihren Staat verrieten. Denen die Armut ihres Landes, die Unfähigkeit, höchste Qualität und echten Protz zu produzieren, ins Gesicht geschrieben stand, sobald sie einem Benz gegenüber standen. Denen der Neid zu einer plumpen Kindermimik gerann. Deren Gedanken man plötzlich lesen konnte. Und Wegener merkte, dass er sich trotz seiner Scham Karolina an diese Ampel wünschte. Karolina sollte ihn im Fond dieser BGS-Sonderschutz-Staatskarosse bestaunen, sollte sein Gesicht hinter der herabgleitenden dunklen Scheibe auftauchen sehen, sollte ihn anstarren, ungläubig und bewundernd, wie er entspannt mitten in so viel Luxus lehnte. Die beleuchteten Aschenbecher schimmerten in rotbraunem Wurzelholz. Tasten und Knöpfe leuchteten im gleichen Safrangelb wie die Tachoscheibe und sämtliche Bordinstrumente. In die Kopfstützen der Vordersitze waren Bildschirme eingelassen. Dimmbare Leselampen im gepolsterten Wagenhimmel, lederbezogene Armlehnen, silbrige Zierleisten. So müsste Karolina ihn erleben. Als Erste-Klasse-Ermittler im nationalen Sondereinsatz. Mit leicht angewärmtem Hintern. Gefahren von einem bonbonduftenden Bonzenkommissar aus Westberlin. Und damit für diese halbe Stunde der bestchauffierte Mann der DDR. Jedes ZK-Mitglied in seinem Volvo fiel gegen so eine S-Guard-S-Klasse ab, kein anderer Mensch im Land konnte mit dieser safranfarbenen, silbrigen, ledernen, arschwarmen S-Sitzsituation mithalten. Brendels Angeberauto als Hochzeitswagen, dachte Wegener, Karolina und er in Weiß und Schwarz, Früchtl

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