Plan D
westdeutsche Beamte eigenständig auf dem Gebiet der DDR arbeiten können, sondern sie ist, das haben wir sicher mittlerweile alle erkannt, von größter politischer Tragweite. Der Ausgang dieser Angelegenheit kann den Verlauf der deutsch-deutschen Konsultationen beeinflussen, und er kann im schlimmsten Fall gravierende wirtschaftliche Nachteile für die DDR mit sich bringe n – und für die BRD.«
Kallweit sah zu dem Toten, die Blicke der anderen folgten.
Da liegt er, unser Verursacher der gravierenden wirtschaftlichen Nachteile für DDR und BRD, dachte Wegener, ein kaltes Klappergestell mit ausgelagertem Hirnklumpen. Was in diesem Klumpen einmal vor sich gegangen ist, kann die Geschichte ändern. Oder hat sie längst geändert. Und jetzt entwickeln sich die Dinge.
»Ich möchte also auch im Namen von Minister Schily und Generaloberst Steinkühler, die in dieser Stunde den Staatsratsvorsitzenden Krenz über die weiteren Schritte informieren, darauf hinweisen, dass wir in der bevorstehenden Operation quasi gesamtdeutsche Interessen vertreten.« Kallweit drückte den Rücken durch. Ein kleiner Bauch wölbte sich unter dem langen, schwarzen Mantel. »Westdeutschland ist auf das russische Gas angewiesen, wir sind auf die Transitgebühren angewiesen. So einfach ist das. Wir haben jetzt dafür zu sorgen, dass die entsprechenden Verträge gemacht werden können. Kollege Wegener, Kollege Brende l – bitte.«
Brendel machte eine Geste in Richtung Wegener, als erteile er ihm das Wort.
»Ich fasse kurz den Stand der Dinge zusammen«, sagte Wegener und wandte sich dem Seziertisch zu. »Wir gehen zur Zeit davon aus, dass hier die Leiche von Albert Hoffmann vor uns liegt. Bislang gibt es keinen Zeugen, der Hoffmann in den letzten Jahren gut genug kannte, um ihn zweifelsfrei zu identifizieren. Hoffmanns Wohnung wird gerade durchsucht, dort hat man eindeutiges Trägermaterial gefunden, eine DNA-Analyse läuft. Wir müssen uns also vorerst mit 9 9 Prozent begnügen. Hoffmann wurde vor dreiundvierzig Stunden tot aufgefunden, erhängt an der Nordmagistrale, im Gebiet Stadtforst Köpenick. Das ist circa zehn Kilometer vor der Potsdamer Hand.«
»Die Nordmagistrale teilt sich bei Potsdam in fünf kleinere Versorgungsleitungen«, erklärte Kallweit, »die Ostberliner nennen das die Potsdamer Hand, wei l …«
Brendel und Kayser nickten.
»Der Todeszeitpunkt wird von Doktor Jocicz auf rund zwei Tage vor dem Fund datiert«, sagte Wegener, »das wäre also Montag, der 17 . Oktober, im Bereich des späten Nachmittags.«
»Zwischen 15 und 1 7 Uhr.« Jocicz sah in die Runde. »Genauer lässt es sich leider nicht eingrenzen.«
»Am Tatort stand ein Phobos Prius. Die Täter haben Hoffmann offenbar gezwungen, auf das Wagendach zu steigen, der Prius diente sozusagen als Falltür. Beide Kennzeichen wurden entfernt, allerdings ist exakt dieses Modell auf Hoffmann zugelassen, wir gehen also davon aus, dass es sich um seinen Wagen handelt. Demnach wäre er selbst in den Wald gefahren. Was nahelegt, dass er die Täter kannte.«
Brendel und Kayser nickten.
»Die Spurenlage ist leider äußerst dürftig. Es gibt den Knopf, der eindeutig zu Hoffmanns Mantel gehört. Und es gibt ein paar Tropfen Motoröl, das ist alles.«
»Analyse?«
»Läuft. Jetzt kommen die Punkte, die es heikel machen.« Wegener sah Kallweit an. »Das Erhängen, die Schnürsenkel, die acht Törns des Stricks. Diese Mordmethode entspricht einer Legende über angebliche interne Verräterbestrafung der Staatssicherheit in Zeiten der Wiederbelebung. Uns liegt nichts vor, was diese Annahme bestätigt, das sage ich gleich dazu. Trotzdem ist das Zeichen natürlich eindeutig. Hoffmann sollte als Verräter gebrandmarkt werden.«
»War Hoffmann bei der Stasi?« Kaysers Brille funkelte.
»Laut Auskunft von Generaloberst Steinkühler nicht.«
Kayser lächelte.
»Wie wir alle wissen, erscheint nach derzeitigem Kenntnisstand am Montag ein SPIEGEL-Titel, der den Mord an Hoffmann thematisiert.« Wegener versuchte, Kaysers Lächeln zu ignorieren. »Darin wird ein Informant zitiert, der behauptet, als Angehöriger der Staatssicherheit Zeuge der Tat gewesen zu sein. Der Informant beteuert seine persönliche Unschuld und beschuldigt die Staatssicherheit. Er besitzt außerdem Fotos der Leiche vom Tator t – das bedeutet, er war entweder tatsächlich dort oder kennt zumindest eine oder mehrere Personen, die dabei gewesen sind. Wir wissen außerdem, dass Hoffmann in Marzahn unter dem
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