Plan D
und ein mittelgroßes Nanotchev Omikron aus der Wohnung und grüßte grunzend. Sein kariertes Hemd roch man noch, als er schon im sechsten Stock mit der Treppe um die Wette ächzte.
Wegener hielt nach Frank Stein Ausschau, aber hier gab es nur gebückte, weiße Gestalten, die schon ihren Kram zusammenpackten.
»Der Boden ist sicher, die Herren. Bitte einzutreten.«
Wegener drehte sich um. Stein stand hinter ihm, die Tür vom Gäste-WC war jetzt offen.
»Wenn die Polizei beim Mordopfer aufs Klo geht, muss die Spurensicherung schon ziemlich weit sein«, sagte Wegener.
»Fast fertig.« Stein nickte. Seine dunklen Haare pappten ihm platt am Schädel und sahen aus wie die Kappe eines Mephisto-Kostüms, die er seit Karneval nicht abgesetzt hatte. Das stählerne Brillengestell war auf die dünne Nasenspitze gerutscht, der graue Anzug schlotterte um einen Halbstarkenkörper. Dass er von den Kollegen Frankenstein genannt wurde, wusste er, und die Kollegen wussten, dass Frankenstein das wusste. Unvermeidlich, so ein Spitzname, pflegte Stein zu sagen, und im Übrigen sei er sicher, sein Vater, das Cottbusser Früchtchen, habe diese Vornamen-Nachnamen-Kombination aus purer Boshaftigkeit ausgesucht, denn der habe immer nur eine dralle Tochter gewollt und nie einen dürren Kriminalisten.
»Bericht oder Wohnungsführung?«
»Erst Führung. Dann Bericht.«
Frankenstein deutete eine Verbeugung an, schlenderte durch einen Hindernisparcours aus Kartons, Kisten und Wäschekörben voller Papiere in ein meterhohes Zimmer. Ringsum Bücherregale bis unter die Decke.
»Eine Bibliothek!« Frankenstein breitete die Arme aus und drehte sich im Kreis wie eine magersüchtige, angetrunkene Tänzerin. Kein Haar bewegte sich. »Die ganze Wohnung eine einzige Bibliothek! Aufgepasst!« Die Tänzerin taumelte durch eine weiße Flügeltür in den nächsten Raum. »Er hat sogar die Fenster zugebaut. Alle, die nach vorne rausgehen, und bis auf drei auch die nach hinten.«
Wegener, Brendel und Kayser sahen sich um, sahen sich an, folgten Stein, der schon ein Zimmer weiter war.
»Wir haben hier, bitte festhalten, neun solcher Räume, neun Räume voller Bücher und acht davon ohne Fenster. Wir dachten zuerst, das hört gar nicht mehr auf, man betritt so eine Mietswohnung und dann: Ein Paralleluniversum! Eine Paralleluniversums-Biliothek!« Stein war jetzt ein Hausherr, dem sein eigener Reichtum unbegreiflich ist. »Aber weit gefehlt, meine Herren, hier hat alles seine Richtigkeit, wir befinden uns nach wie vor in Prenzlauer Berg. Die Erklärung: Zum einen geht dieses Haus viel weiter in die Tiefe, als man es von vorne erwartet, das ist nämlich eine Art Riesenaltbau, zum anderen hat unser Mann genau hier einen Durchbruch machen lassen.«
Stein schlenderte weiter. Der Raum, der jetzt kam, war doppelt so groß wie die vier davor. Zwei Altbau-Salons gingen ineinander über, zwei identische Kronleuchter hingen aus identischen Stuckrosetten. Quer durch das Zimmer lief eine helle Linie neuer Dielenbretter.
Wegener drehte sich um die eigene Achse. Endlose Regalreihen, unten mit dunklen Schranktüren verschlossen, darüber, in akribisch genaue Aufstellung gezwungen, die bunte Wucht tausender Buchrücken. Abgewetzte Folianten lagerten hinter Glastüren, die goldgeprägten Lederrücken von Gesamtausgaben und Lexika glänzten in Schwarz, Braun, Rot. Aus den meisten Bänden ragte ein Strauß Lesezeichen, machte die Bücher zu honorigen Punkern mit bunten Zettel-Frisuren. In der Zimmermitte ein antiker, lederbezogener Schreibtisch. Gegenüber vom Schreibtisch das erste Fenster, das Wegener in dieser Wohnung sah, ein mächtiger, gläserner Rundbogen, unterteilt in zwei große Flügel. Durch den Bogen hatte man den Ostberliner Nachthimmel im Blick: die glitzernde Fernsehturmkugel, das EastSide, die Domkuppel, den Palast der Republik mit seinen Lichtersäulen.
Kayser stellte sich stumm vor die Aussicht. Hände auf dem Rücken. Sein Gesicht eine staunende Scheibenspiegelung.
Wegener ging zu einem der Regale, beugte sich vor und las: Altvater, Mahnkopf: Grenzen der Globalisierung . Bredow, Brocke: Krise und Protest . Mathias Jopp: Dimensionen des Friedens . Eine gebundene Sammelausgabe der OSZE-Jahrbücher von 1982 bis 2010.
»Gibt es bei Ihnen immer noch Wohnraumzuweisungen?« Brendel stand plötzlich neben Wegener. »Entschuldigen Sie dieses bei Ihnen . Das ist ein ziemlich seltsames Westdeutsch. Also: Gibt es in der DDR immer noch
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