Plan D
gut zu wissen, bis zu welcher Sicherheitsstufe wir Akteneinsicht nehmen können. Ich hatte das Gefühl, er weiß das selbst noch nicht.« Brendel schaltete einen Gang runter. Der Wagen ging in die Kurve. »Für morgen früh ist ja dieses Gespräch mit einem Major angesetz t …«
»Wischinsky«, sagte Kayser.
» … Borgs hat das zumindest ein Gespräch genannt. Herr Wegener, wir werden auch gegen die Staatssicherheit ermitteln müssen. Das ist Ihnen klar.«
»Ist mir klar.« Wegener merkte, dass die Ledersitze jetzt unangenehm warm wurden. »Sie können sich vorstellen, so was gehört nicht zum täglich Brot eines Volkspolizeihauptmanns.«
»Das kann ich mir gut vorstellen«, sagte Kayser. »Vermutlich auch nicht zu seinen Lieblingsaufgaben.«
»Kommt darauf an, wie viel potenzielle Karriere man sich noch versauen kann und wie schnell man das hinter sich bringen möchte.«
Na, das hast du ja nun schon hinter dir, sagte Früchtl.
»Da können wir im Zweifel den Kopf hinhalten«, sagte Brendel. »Aber sind die Herrschaften darauf vorbereitet, dass das Verhör diesmal andersherum läuft?«
Wegener rutschte auf dem heißen Leder hin und her. »Steinkühler hat das heute Vormittag so ausgedrückt: Ich ginge als erster Polizist in die Geschichte ein, der gegen die Staatssicherheit ermittelt, aber nicht als erster Polizist, der erfolgreich gegen die Staatssicherheit ermittelt.«
»Mindestens in einem Punkt hat der Herr Steinkühler schon mal Unrecht«, sagte Brendel und stellte die Sitzheizung ab. »Wir sind drei Polizisten, die gegen die Staatssicherheit ermitteln.«
*
Als der Mercedes in die Greifenhagener Straße einbog, war es fast dunkel. Neben dem Backsteinturm der Gethsemane-Kirche leuchtete ein letzter, violetter Streifen Sonnenuntergang, der mit jeder Minute weiter hinter die Hausdächer schrumpfte. Die hohen Fenster der Altbauten waren gelblich-düstere Rechtecke, zeigten Ausschnitte von Schränken, Bücherwänden, Bildern, unmodernen Tapeten. Antike Kronleuchter, Kerzen und schiefe Lampenschirmchen verbreiteten funzeliges Licht. Brendel hielt im Halteverbot vor einem verbeulten Phobos Universal, kramte seine in Plastik eingeschweißte Sondergenehmigung aus dem Handschuhfach, klemmte sie hinter die Windschutzscheibe, schien sich plötzlich zu erinnern, wo er war, und packte die Plastikkarte wieder weg.
»Klassenfeind im Absoluten«, sagte Kayser und hievte sich von seinem Sitz. »Dich sehen wir so schnell nicht wieder.«
Die Zentralverriegelung ließ sämtliche Blinklichter am Wagen zweimal aufleuchten. Autos und Häuserwände wurden für Sekunden in fröhliches Orange getaucht, das Wegener irgendwie unpassend vorkam. Er spürte die kalte Luft an seinem Hintern. Vom Sonnenuntergang waren nur noch glühende Dachfirste übrig, hinter denen ganz Deutschland lichterloh zu brennen schien.
»Welche Nummer?«
»51.«
»Dann hab ich gut geparkt. Genau gegenüber.«
Hoffmanns Haus überragte die anderen in der Reihe um zwei Geschosse, ein siebenstöckiger Gründerzeitbau mit rostigen Balkongeländern, ergrautem Stuck und breitem Doppelerker in der Mitte der Fassade. Wegener zog sein Minsk aus der Manteltasche, klickte sich in den TNT-Speicher, kontrollierte die Adresse. Numme r 51, siebter Stock. Kein erleuchtetes Fenster in der obersten Etage. Wegener zählte noch mal nach.
Brendel sah sich um. »Falsche Hausnummer?«
»Nein, aber da oben ist alles dunkel. Und laut Lienecke sollte die Spurensicherung ja noch da sein.«
»Vielleicht hat Hoffmann seine Stromrechnung nicht bezahlt«, sagte Kayser. »Unser erstes Motiv für den Mord an der Gasleitung.«
Wegener ging fünf ausgetretene Stufen hinauf. Die Haustür war offen. Im Flur lehnte ein Vopo, spielte etwas auf seinem Minsk, steckte es plump-eilig weg, als er Wegener sah, und bohrte einen Zeigefinger in die Luft: »Siebter Stock links, Herr Hauptmann.«
»Also doch«, sagte Brendel. »Die Toten wohnen immer oben.«
»Im Osten wie im Westen«, sagte Wegener, atmete einmal tief durch und begann mit der Ersteigung einer enorm knarzenden Treppe. Brendel und Kayser knarzten hinter ihm her. Im zweiten Stock kamen ihnen Spurensicherungsleute entgegen, vier gelangweilte Gesichter in weißen Ganzkörperkostümen, Schachteln und Aktenordner vor der Brust.
Hoffmanns Wohnungstür stand offen. Im Flur Karton-Chaos, gerufene Anweisungen und Nachfragen, ab und zu Blitzlicht. Der obligatorische, fetthaarige Computerexperte schleppte gerade einen Robotron Sigma
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