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Plan D

Plan D

Titel: Plan D Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Urban
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Gesichtsstreifen sagten zukünftig mit der Entwicklung des Nanotchev Rho sowie des Klangspielers Musikus M06 im VEB Robotron-Mikroelektronik »Wilhelm Pieck« angestrebt werden soll. Zum Sport , Rauschen, Schnee fiel, dann beruhigte sich das Bild, und der Schriftzug Aktuelle Kamera formierte sich, aus den Beulen floss ein runder Kopf zusammen, unter dem Kopf stand Axel Kaspar .
    Der Wirt stellte den Ton ab. Michael Ballack trug im Trainingslager auf Hiddensee mehrere Pylonen über den Trainingsplatz. Matthias Sammer dirigierte von der Trainerbank aus und bewegte den Mund dazu. Er hatte schlechte Zähne.
    Ballack machte ein unglückliches Gesicht und beschwerte sich bei Sammer über irgendetwas. Schnitt auf den Trainingsplatz von oben. Die Spieler liefen in weißen Trikots über eine künstlich wirkende grüne Fläche, drehten den Oberkörper nach links, nach rechts, nach links. Jetzt redeten Sammers schlechte Zähne in die Kamera.
    Kennste noch Hulvershorn?, fragte Früchtl.
    Wegener schüttelte den Kopf.
    Ein Klotz von Frau, drei Kubikmeter pure Polizei. Hieß überall nur die Berliner Sau, weil sie so ein Schweinegesicht hatte. War lange im Kommissariat Mitte. Nichts und niemand konnte die aus der Fassung bringen. Seit zwei Jahren halbseitig gelähmt rechts. Schlaganfall. Hab sie neulich besucht, liegt mit zwei Sabbermännern in so nem runtergekommenen Puff in Pankow und hatte Tränen in den Augen, weil ihr die Rosette juckte wie nichts Zweites.
    Der Wirt brachte ein frisches Bier und schaltete um. Eislaufen.
    Ist mittags auf dem Pott gewesen, die Arme, und der Pfleger hat nicht richtig abgeputzt. Jetzt liegt die Hulvershorn gefühlte Dekaden mit ihrem juckendem Arsch im Bett, klingelt wie verrückt, aber niemand erscheint. Kann sich ja nicht kratzen, kommt ja nicht dran!
    Wegener lehnte sich zurück.
    Ich also wen gesuch t – niemand zu finden. Im ganzen Haus nicht. Das Ende vom Lied: Aidshandschuhe aus dem Wagen geholt und der Berliner Sau die Ritze ausgewischt. Früchtl zuckte mit den Schultern. Da hab ich gemerkt, du musst hier raus. Das ist kein Land für alte Leute.
    Das ist auch keins für junge.
    Mag sein. Aber du erreichst den eigenen Arsch. Hulvershorn nicht. Was die Prenzlauer Rowdies und die Stasi und zwei Scheidungen vier Jahrzehnte lang nicht geschafft haben, dafür brauchte das Genossenpflegeheim Pankow nur zwei Stunden: Die Berliner Sau hat geweint.
    Und da hast du dir gedacht, du verschwindest einfach, sagte Wegener. Weil du Angst hast vor einer juckenden Rosette.
    Jeder hat seinen eigenen, guten Grund, zu verschwinden, Martin. Angst vor einer juckenden Rosette wäre nicht der schlechteste. Dieser Staat ist eine brennende Bruchbude kurz vorm Tropensturm. Das Einzige, was hier auf Weltniveau produziert wird, heißt Ungerechtigkeit.
    Ich weiß, sagte Wegener, ich bin an der Produktion beteiligt.
    Manche werden auch verschwunden, weil sie selbst ein Juckreiz sind, ein Juckreiz im Arsch des Staates. Irgendwann kommt die große Hand und kratzt, und wenn du Pech hast, kratzt sie dich ab. An der staatlich verwalteten Korrelation von Jucken und Kratzen hat sich in den letzten zwanzig Jahren nicht das Geringste geändert.
    Was hast du rausgefunden, Josef? Was haben sie mit dir gemacht?
    Als ich 14 war, warfen sie den Nachbarn aus dem Haus, die Treppe runter. Kam gerade vom Jugenddienst, in meinem braunen Hemd, mit dem schwarzen Halstuch, das aussah wie ein abgeschnittener Schwalbenschwanz.
    Jose f …
    Der fiel hart hin, der Nachbar, der blutete, wurde getreten, aber mich lächelte er an, als ich vorbeilief, und später dachte ich immer, vielleicht ist das sein letztes Lächeln gewesen, das er einem vierzehnjährigen Pimpf mitgab. Sollte dieser Pimpf doch sehen, was er anfing mit so einem lebenslang haltbaren Lächelrest.
    Hör mal, Jose f …
    Nach 45 ging alles von vorn los. Du weißt es, Martin, ich war immer mittendrin, immer ganz vorn dabei, rückblickend lässt sich das sagen: alles falsch. Aber auch du wärst gewesen wie wir. Alle wären gewesen wie wir. Blöderweise hatten wir das Pech, dass wir wir sein mussten, tagein, tagaus, ganz ohne Konjunktiv. Der Deutsche konnte im 20 . Jahrhundert ein weltweites Patent auf den Opportunismus erwerben un d …
    Hör auf mit diesem ewigen Nachdemkrieg, sagte Wegener und war selbst erstaunt, wie heftig er klang, ich will wissen, was sie mit dir gemacht haben! Nicht 1945, sondern 2010!
    Früchtl lächelte nur.
    In die Stille hinein lieferte der Wirt eine

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