Plan D
vollzählig auf dem Territorium der Deutschen Demokratischen Republik, und falls sie aktiv werden, dann nicht, um alte Männer zu erhängen und ihnen die Schnürsenkel zusammenzubinden.«
»Und jemand, der vor der Wiederbelebung für die Stasi gearbeitet hat?«, fragte Brendel. »Vielleicht irgendein Ex-IM?«
Wischinsky versuchte es noch mal mit einem Lächeln. »Wir reden hier von 9 0 000 hauptamtlichen und mehr als 18 0 000 inoffiziellen Mitarbeitern, Herr Brendel. Im Zuge der Wiederbelebung sind große Aktenbestände vernichtet worden. Der Rest ist nur zu rund 1 5 Prozent digitalisiert. Wie sollen wir da Ihrer Meinung nach vorgehen?«
»Jetzt hören Sie mal zu«, sagte Kayser laut, »ab Montag werden sämtliche westdeutsche Medien über einen Stasimord berichten, die Konsultationen sind so gut wie abgesagt, im nächsten Frühjahr ist Ihr sozialistisches Schlaraffenland pleite, samt seiner kommoden Rentenregelungen. Wie wär’s mit ein bisschen Vaterlandsliebe, Renate?«
Gleich platzt die Lederhaut, dachte Wegener, reißt ein, pellt sich ab, Frau Major greift sich in Agentenfilm-Manier an den Kragen, zieht die braune Maske samt Perrückenranke vom Kopf, darunter ein hagerer, zahnloser Greisenschädel mit dünnem Flaum und speichelnden Mundwinkel n – Mielke.
»Wenn ich das richtig sehe«, sagte Wischinsky in Gefriertemperatur, »sitzen hier drei Sonderermittler, die einen Toten haben, dessen Ermordung stümperhaft eine seit zweiundzwanzig Jahren nur gerüchteweise bekannte, illegale Praxis subversiver Elemente zitiert. Drei Sonderermittler, die des Weiteren selbst gar nicht an einen Täter in den Reihen der Staatssicherheit glauben, weil es nirgendwo das kleinste Motiv gibt, und die außerdem keine blasse Ahnung davon haben, wie man einen solchen Täter ermitteln sollte, wenn es ihn denn gäbe. Ich bin angehalten, in dieser Ausnahmesituation mit Ihnen zu kooperieren, meine Herren, aber ich bin weder dazu angehalten, Ihnen geheimdienstliche Dokumente zu beschaffen, zu deren Kenntnisnahme Sie nicht befugt sind, noch Ihnen eine Erfolg versprechende Suche nach mysteriösen, mordenden Ex-Agenten in streng geheimen Ex-Agenten-Dateien zu suggerieren, die nicht existieren. Wenn Sie einen Rat wollen: Machen Sie Ihre Arbeit und machen Sie sie gut. Gibt es noch irgendetwas, das wir besprechen müssten?«
Was für eine Stille, dachte Wegener. Sie funktionieren immer noch, die alten Polsterwände. Sie schaffen schallisolierte Inseln, Totenruheräume mitten im kreischenden, jaulenden, ächzenden Berlin, geräuschfreie Zonen, in denen Gedanken aufeinanderprallen können wie Kettenpanzer beim Frontalzusammenstoß, maximal konträre Kräfte. Weil es gerade so schön still war, legte er Fischers Gärtnerausweis auf den Snookertisch. Ein leises Schnappen, als das Plastikkärtchen auf die Holzfläche flatschte.
Wischinsky griff nach dem Ausweis und betrachtete ihn. Ihre Augenschlitze wurden millimeterweise größer.
»Können Sie uns sagen, auf welches Objekt sich dieses Dokument bezieht?«, fragte Wegener freundlich. Die Ledermaske nahm jetzt einen Ausdruck an, den er bislang für unmöglich gehalten hätte. Irgendetwas zwischen Unglauben und Erkenntnis, das nicht mal in einem gemeißelten Gesicht versteckt werden konnte.
»Wo haben Sie den her?«
»Ich nehme an, Frau Major, dass Sie uns sagen können, was das Kürzel bedeutet?«
»Berlin Wandlitz, Sonderschutzzon e 1.« Wischinsky hob den Blick und sah Brendel an. »Dieses Papier berechtigt zum Betreten des Regierungsviertels.«
»Sie erwähnten, Sie seien angehalten, mit uns zu kooperieren«, sagte Kayser. »Welche konkreten Maßnahmen umfasst diese Kooperation?«
Jetzt war Renate aus dem Konzept. Die zweite emotionale Regung innerhalb einer Minute, stellte Wegener fest: Verwirrung.
»Herausgabe von Dokumenten bis Geheimhaltungsstuf e 3«, spulte Wischinsky ab, »Nennung nicht streng vertraulicher Quellen, Durchführung nachrichtendienstlicher Maßnahmen.«
»Abhöraktionen?«, fragte Brendel.
Wischinsky ließ den Ausweis sinken und legte ihn vor sich auf den Tisch. »Akustische Wohnraumüberwachung und Personenobservation.«
»Dann wenden wir uns im Bedarfsfall direkt an Ihr Büro. Ich möchte Sie bitten, die von uns angeforderten Maßnahmen intern weder zu kommunizieren noch zu dokumentieren.«
»Das kann gewährleistet werden«, sagte Wischinsky hölzern. Ihr Lederkopf war immer noch in Wandlitz.
Brendel und Kayser standen auf.
Wischinsky blieb sitzen.
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