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Plan D

Plan D

Titel: Plan D Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Simon Urban
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»Von dem Ausweis lasse ich Ihnen eine Kopie machen.«
    »Tut mir leid«, sagte Kayser und grapschte sich das Kärtchen mit einer sportlichen Bewegung vom Schreibtisch, »aber der Ausweis ist Asservat in einer bilateralen Sonderermittlung und unterliegt den Geheimhaltungsbestimmungen der Stuf e A. Dokumente der Stufe A dürfen nicht kopiert werden. Nie.«
    Wischinskys Mundschlitz bebte. Für eine Sekunde schien ihre rechte Hand nach einem Alarmknopf oder einem Maschinengewehr oder einer russischen Atomrakete zu tasten, dann ballte sie eine Faust, dass unter der negerbraunen Solariumshaut weiße Knöchel hervortraten.
    »Wir freuen uns auf die weitere Zusammenarbeit und wünschen noch einen schönen Tag«, sagte Brendel.
    Kayser und der Ausweis waren schon draußen.
    Vor der Polstertür warteten zwei neue Uniformierte, die die Führung bis zum Haupteingang übernahmen. Einer ging vorn, einer hinten.
    Als sie auf den Hof traten, posierten rund zwanzig Männer in stasifarbenen Anzügen abwechselnd an der Mercedes-Motorhaube und fotografierten sich gegenseitig mit ihren Minsk-Kameras.
    Dann krachte es.

12
    V ielleicht eine Gasleitung«, sagte Borgs.
    Die maroden Kachelwände der Karl-Marx-Allee fuhren an Wegener vorbei, ihre pompösen Boulevardlüster, die ihm immer wie Nazi-Laternen vorgekommen waren, darunter leere Gesichter auf dem breiten Bürgersteig, telefonierende, ängstliche, starrende. Die schwarze Rauchwolke war inzwischen so hoch gestiegen, dass sie über den Flachdächern erschien, eine wachsende, höhnische Riesenfratze, an den Seiten vom Wind ausgefranst.
    Brendel stoppte an einer roten Ampel.
    »In der Normannenstraße haben auf jeden Fall die Wände gewackelt«, sagte Wegener, presste das Minsk ans Ohr und drückte auf den Fensterheberknopf aus Wurzelholz. Die Wagenscheiben fuhren hoch, aber Borgs’ Antwort ging trotzdem unter, der Gegenverkehr hatte schon den nächsten Schwung Feuerwehrwagen herangeschwemmt. Ein panischer Sirenenchor steigerte sich bis zur Schmerzgrenze.
    Brendel rief Kayser etwas zu, Kayser rief etwas zurück.
    Draußen hielten sie sich die Ohren zu. Fahle Sonne tauchte die Kreuzung in kaltes Licht, Passanten mit Elfter-September-Mimik überquerten die Straße, die Blicke in den Himmel gehoben. Zum ersten Mal beachtete niemand die S-Klasse.
    Endzeitstimmung, dachte Wegener und sah auf sein Minsk. Die Verbindung zu Borgs war angezeigt, hören konnte er nichts. Für ein paar Sekunden hatte er das Gefühl, nur noch Zuschauer zu sein. Als ginge ihn das Ganze hier nichts mehr an. Ausreiseantrag gestellt, bewilligt, nachher über die Grenze und nie wieder zurück. Karolina, ihr eisernes Desinteresse an ihm, der sozialistische Trümmerhaufen, die staatlichen, amtlichen, privaten Lügen, alles verlassen, vergessen, gekündigt, für immer. Noch ein letztes Mal Stadtrundfahrt durch den wilden Osten: die Mittagstisch-Schlange vor dem »Jelzin«, trotz des Lärms alle Wartenden mit Telefon am Ohr. Auf den Dächern der gammelnden Arbeiterpaläste steinerne Statuen wie Reihen tiefgefrorener Scharfschützen, dahinter die wuchernde, schwarze Wolke, die aussah, als hätte sie in einer Stunde ganz Berlin im Griff, eingehüllt, auf ewig verdunkelt. Ein großer Verlust wäre es nicht: rostende Phobosse am Straßenrand, die Kiosk-Markise mit dem verblichenen Club-Cola-Schriftzug; die BULETTA Imbiss-Station mit der Wart-Burger-Reklame, auf der sich zwei übertrieben große Gesichtsklöpse zwischen ihren Brötchenhälften anlächelten, das gelbe B von BULETTA auf dem Rücken liegend, die billige Kopie des westlichen M. An die Kachelwand daneben hatte jemand DDR gesprüht und den mittleren Buchstaben mit einem schwarzen Kreuz für tot erklärt.
    »Hallo?«, rief Wegener in sein Minsk und merkte zu spät, wie lächerlich hilflos das klingen musste.
    Brendel fuhr wieder an. Der Sirenenlärm war im Hintergrund abgebogen. Die Verbindung zu Borgs’ Mobil wurde unterbrochen .
    Kayser drehte sein fragendes Gesicht in Richtung Rückbank.
    »Eine Explosion am Palast«, sagte Wegener.
    Kayser nickte, als hätte er nichts anderes erwartet. »Und?«
    »Gasleitung. Wird vermutet.«
    »Ach, das liebe Gas.« Kayser guckte schon wieder nach vorn.
    Karolina, dachte Wegener, die hat doch ab und zu Termine im Prozzo. Er klickte sich in die Anruflisten und drückte auf Wählen. Im Display blinkte Netzstörung .
    Neuer Sirenenlärm kam näher, Streifenwagen rauschten vorbei, dahinter Mannschaftsbusse, dann noch ein

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