Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)
pflanzen, Rinder in Nebraska züchten und sich in South Dakota gegen Tornados wappnen, waren Pioniere. Man kann sich schon vorstellen, wieso sie so knallharte Anhänger des Sozialdarwinismus sind. Selbst die Loser unter ihnen sind das Endprodukt einer langen, harten Auslese.
Sie sind vor allem auf eines stolz: ihre Eigenständigkeit. Obwohl – »stolz« ist vielleicht das falsche Wort. Sie sehen Eigenständigkeit eher als Grundlage unseres nationalen Erfolges. Und ein soziales Netz klingt wie das genaue Gegenteil davon.
1959 veröffentlichte der Anthropologe Oscar Lewis (übrigens ein Befürworter des Sozialstaates) seine heute noch wichtige Studie Five Families: Mexican Case Studies in the Culture of Poverty , in der er aufzeigte, dass Menschen, die über längere Zeit maßgeblich von Sozialleistungen leben, eine eigene Mentalität entwickeln, geprägt von Hoffnungslosigkeit, Hilflosigkeit, Verachtung für den Staat, an dessen Tropf sie hängen, dem Eindruck, dass es sich nicht lohnt, sich beruflich zu engagieren, und einem Gefühl des »entitlement«: der Einstellung, dass der Staat ihnen etwas schuldet.
Mit anderen Worten, sie entwickeln sich zu Nicht-Amerikanern.
Das ist unser größter Horror, wenn es um den Sozialstaat geht. Wenn wir damit eine Nation von saft- und kraftlosen Abhängigen schaffen, untergraben wir das Fundament, auf dem wir stehen.
Dabei leben die Amerikaner de facto schon längst in einem Sozialstaat – und zwar im teuersten der Welt.
Sie hören auch zum ersten Mal davon? Ja, es ist tatsächlich ein gut gehütetes Geheimnis. Das soziale Netz ist der größte Posten im amerikanischen Haushalt – größer als das Militärbudget. 2010 bekamen die Sozialdienste 1,49 Billionen Dollar aus einem Topf von insgesamt 3,46 Billionen Dollar – was 43 Prozent der Gesamtausgaben entspricht (die Ausgaben der einzelnen Bundesstaaten sind dabei nicht mitgerechnet). Das Militär bekam läppische 20 Prozent.
Der amerikanische Sozialstaat besteht allerdings aus einer verwirrenden Vielzahl von Programmen und Gesetzen, die selbst Kafka zum Verzweifeln gebracht hätten.
Die einen Stellen verteilen »Essensmarken« – eine Art Kreditkarte im Wert von etwa 133 Dollar monatlich, die Lebensmittelläden statt Bargeld annehmen müssen. Die anderen gewähren Arbeitslosenhilfe: Die »Temporary Assistance for Needy Families« ( TANF ) unterstützt Arbeitssuchende bis zu fünf Jahre lang. Das »Supplemental Security Income« stockt das niedrige Einkommen meist älterer Menschen noch weiter auf, und der »Earned Income Tax Credit« ist eine Steuererleichterung für Einkommensschwache und dazu eine Art Kindergeld. Und das ist nur eine kleine Auswahl.
Der älteste, teuerste und wichtigste Grundpfeiler des amerikanischen Systems ist aber die staatliche Rentenversicherung, die »Social Security«. Von den Zahlen her ist es die größte Sozialversicherung der Welt. Sie ist auch die einzige, die für jeden arbeitenden Amerikaner Pflicht ist, so wie eine Autoversicherung. Wer arbeiten will, braucht eine neunstellige »Social Security«-Nummer, die einen das ganze Leben lang begleitet. Es ist zugleich das wichtigste Instrument des Staates zur Identifizierung seiner Bürger.
Gesundheitsvorsorge auf Staatskosten gibt es auch: »Medicaid« ist eine verbilligte Krankenkasse für Menschen, die sich keine private Krankenkasse leisten können oder keine vom Arbeitgeber bezahlt bekommen, wie es in Amerika oft üblich ist. Das Schwesterprogramm »Medicare« ist eine Krankenkasse für verarmte Pensionäre, und fast genauso bedeutend.
Warum den Deutschen ihr Sozialstaat ein so selbstverständlicher Bestandteil des Alltags ist, kann ich mir nur so erklären: Er ist immerhin schon über 120 Jahre alt. In Amerika ist er noch jung und wurde erst als Antwort auf die »Große Depression« ins Leben gerufen.
In den Tagen, Monaten und Jahren nach dem Börsencrash am »Schwarzen Dienstag« 1929 gingen 11.000 Banken pleite, neun Millionen Sparbücher verwandelten sich in wertloses Papier, 25 Prozent aller Amerikaner verloren ihren Job, bis zu zwei Millionen begannen, die Straße ihr Heim zu nennen, und 60 Prozent aller US -Bürger fielen unter die Armutsgrenze. Damit nicht genug:
Eine extreme Dürre verwandelte rund 400.000 Quadratkilometer Farmland zwischen Colorado und Texas in eine Wüste – die »Dust Bowl«. Gewaltige Staubstürme zerstörten komplette Ernten und trieben 2,5 Millionen Farmarbeiter nach Kalifornien. Dort entstanden
Weitere Kostenlose Bücher