Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)
Geschenke-Laden.
1971 lernte er jedoch einen älteren Töpfer kennen, der selbst gebastelte Keramik aus seinem Van heraus verkaufte. Darunter war auch eine Keksdose in Form eines knuffigen Häuschens im viktorianischen Stil, mit Giebeln und Sprossenfenstern und Schornsteinen, das Dach mit einer speziellen Glasur schneebedeckt und alles handgemalt.
Ed verliebte sich sofort in das kitschige Unding. Und er hatte eine Idee. Er fragte den Töpfer, ob er nicht die Fenster rausschneiden und eine elektrische Birne einsetzen könne, damit sie leuchteten.
»Dann wäre es aber keine Keksdose mehr«, meinte der, ob seines künstlerischen Selbstverständnisses leicht pikiert. Ed bestand jedoch darauf und konnte zum nächsten Weihnachtsfest sechs Stück ins Schaufenster des Ladens stellen, in dem er immer noch seine Brötchen verdiente. Die Frage war bloß, welchen Preis man verlangen sollte. Immerhin handelte es sich um billige kleine Dinger, die kein Mensch brauchte. Das erforderte schon eine besondere Vermarktungsstrategie. Also klebte er völlig an den Haaren herbeigezogene Fantasiepreise zwischen 150 und 200 Dollar drauf – und schon waren sie begehrte Sammlerobjekte.
Sie gingen weg wie warme Semmeln.
Die nächsten Jahre verbrachte Bazinet damit, Billiglohnarbeitern in einer Fabrik in Taiwan beizubringen, wie man die leuchtenden Häuschen herstellte: Die Türchen, die Dachziegel, die Fensterbretter, alles musste perfekt sein. Der Verkauf – besonders zu Weihnachten – lief bald wie geschmiert, sodass er seine zweite gute Idee bekam: Warum Einzelhäuser anbieten, wenn man ganze Dörfer verkaufen kann? Er entwarf Szenerien: Feuerwachen, Post, Bahnhöfe, Läden, Restaurants, Friseurläden, Kirchen, alles mit einer kuscheligen, nostalgischen Weihnachtsatmosphäre versehen. Wer eines hatte, wollte das ganze Dorf.
Heute gehören Bazinets »Ceramic Villages« neben Steiff-Teddybären und Hummel-Figuren aus Deutschland zu den meistgesammelten Kitsch-Objekten Amerikas. Mit 53 Jahren verkaufte Bazinet seinen 20 Prozent-Anteil an der Firma, die er zusammen mit seinem Arbeitgeber gegründet hatte, für 50 Millionen Dollar und ging in Rente.
Doch der extreme Reichtum, dem man in Amerika heute begegnet, ist noch jung.
Gleich nach dem Zweiten Weltkrieg wurde zwar auch schon eine Menge Vermögen produziert, aber es war relativ gleichmäßig auf die verschiedenen sozialen Klassen verteilt.
Das änderte sich erst ab den 1980ern. Die Regierungen Reagan, Clinton und George W. Bush förderten massive Steuervergünstigungen und die Deregulierung der Finanzmärkte. Die Schere öffnete sich: Die Reichen wurden immer reicher, und die anderen Schichten profitierten nicht davon.
Inzwischen gibt es so viele Exklusiv-Clubs für Millionäre, dass sie immer häufiger miteinander in Konflikt geraten. Zu einem regelrechten Skandal kam es zwischen den benachbarten Clubs »Bath and Tennis Club« und dem »Mar-a-Lago« in Palm Beach, als einigen Reichenkindern aus Ersterem aufgefallen war, dass der Rapper P. Diddy (oder wie auch immer er sich aktuell nennen mag) auf einer Chaiselongue am Mar-a-Lago-Strand irgendwelche Spiele mit einer nackten Dame vollzog, die verdächtig nach Geschlechtsverkehr aussahen. Als man ihn bat aufzuhören, beschwerte er sich in klarer Rap-Sprache, dass man ihn störe. Seitdem herrscht frostige Disharmonie zwischen den benachbarten Clubs.
Reich zu werden ist inzwischen viel schneller möglich als früher. Traditionell musste ein Vermögen ein Leben lang mit viel Umsicht angehäuft werden, meist über Generationen hinweg. Heute, vor allem mit den Möglichkeiten an der Börse und mit Hilfe windiger Finanzinstrumente, wird Reichtum so gut wie über Nacht gewonnen. Wer zur rechten Zeit kommt, kann in bestimmten Branchen eine Firma innerhalb weniger Jahre aufbauen, an die Börse bringen, Investorengelder in Millionenhöhe einsammeln und für weitere Millionen wieder verkaufen, noch bevor die Firma überhaupt rentabel ist. Und dann folgt der nächste Streich.
Oder man kann auch alles verlieren und auf der Straße landen. Sie werden staunen, wie viele Millionäre das schon durchgemacht haben. Das mag als Schattenseite unserer »Freiheit« erscheinen – in Amerika aber genießt Armut einen etwas anderen Stellenwert als in Europa.
7
Wir sind unsozial
D reieinhalb Millionen Amerikaner schlafen auf der Straße. Das ist mehr als die Gesamtbevölkerung von Uruguay. Eine erschreckende Zahl, die immer wieder gern zitiert wird, aber
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