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Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)

Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)

Titel: Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric T. Hansen
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Kirchen und Kneipen in einen Topf warf, weil an beiden Orten Alkohol ausgeschenkt wird oder weil an beiden Orten Dinge zur Sprache kommen, die man am nächsten Tag gerne verdrängt, ist unklar. Wahrscheinlich waren aber die Pfarrer noch empörter als die Wirte, und sie pochten auf die amerikanische Verfassung. Darin ist nämlich ganz klar die Trennung von Staat und Kirche vorgeschrieben. Mit ihrem neuen Gesetz hatten die Vertreter des Staates sich in religiöse Belange eingemischt, die sie nichts angingen. Da standen einige mutige Pfarrer auf und sagten: »Jetzt reicht’s! Lieber lasse ich mich von meinen Schäfchen abknallen als vom Staat bevormunden.«
    Das Casino-Prinzip war es übrigens auch, das Sarah Palin publikumswirksam verteidigte, als sie in Pennsylvania Kekse verteilte.
    Das geschah, kurz nachdem im Senat ein Gesetz vorgeschlagen wurde, das gesünderes Essen in öffentlichen Schulen mit 4,5 Milliarden Dollar subventionieren sollte. Da erschien ein Artikel in einer Zeitung in Pennsylvania, dass die Schulleitungen darüber hinaus auch die Menge an Süßigkeiten bei Schulfesten – an Weihnachten zum Beispiel – aus gesundheitlichen Gründen zu begrenzen gedachten.
    Weihnachten ohne Plätzchen? Das ging zu weit. Sarah Palin erschien umgehend vor einer Schule in Pennsylvania und verteilte vorbeugend Hunderte von Keksen an die armen hungrigen Kinder. Vor den Eltern protestierte sie gegen den Anti-Zucker-Terror: »Ist das Essen unserer Kinder Sache der Regierung oder Sache der Eltern?«
    Es war natürlich nur Show – politisch hat Sarah Palins Auftritt nichts bewirkt, und sie hatte die verschiedenen Gesetzesinitiativen sowieso falsch verstanden. Wen wundert’s. Dennoch war ihr Auftritt publikumswirksam. Sie traf einen Nerv. Man sollte den Idealismus der Amerikaner nicht unterschätzen. In diesem Land geht es fast nie um das eigentliche Gesetz – das meist ganz vernünftig ist –, sondern um die Verteidigung des grundlegenden Casino-Prinzips. Unsere Nackenhaare sträuben sich automatisch bei dem Gedanken, dass der Staat zu dem werden könnte, was Palin »a nanny state run amok« nannte – »einen durchgedrehten Kindermädchenstaat«.
    Die Schüler übrigens ließ das alles ziemlich kalt. Sie fanden es bloß schade, dass der Staat nicht versucht hatte, das Telefonieren mit Handys auf dem Klo zu verbieten – dann hätte Sarah Palin ihnen bestimmt eine Ladung Handys durch die Klofenster geschmissen …
    Ich selber habe schon als Kind von heute auf morgen mit dem Casino-Prinzip Bekanntschaft gemacht.
    Das Erste, was mein Vater von seinen Freunden und Verwandten zu hören bekam, als er 1966 verkündete, er werde mit sechs Kindern und ohne Job nach Hawaii ziehen, war: »Du spinnst!«
    Objektiv gesehen war da was dran. Er war pleite. Er hatte gerade sein Geschäft verloren. In Bellingham, Washington, wo er und meine Mutter (und wir Kinder) geboren wurden, betrieb er mit einem Partner eine Linsenschleiferei. Er importierte Qualitätslinsen aller Art aus Deutschland, schliff sie nach Wunsch zurecht und verschickte sie weiter, überallhin. Das war seine tolle Geschäftsidee, das sollte ihn reich machen. Nur, Bellingham, Washington, liegt in der entferntesten Nordwestecke der USA , direkt an der kanadischen Grenze, ein bisschen weit weg vom Schuss. Das Geschäft lief dementsprechend schleppend, und eines schönen Tages war sein Partner mit sämtlichen Rücklagen verschwunden.
    Die Verwandtschaft hatte Geld in das Unternehmen gesteckt. Nun machten sich einige von ihnen Sorgen, mein Vater würde die übrig gebliebenen Geräte verkaufen und ebenfalls verschwinden. Also wechselten sie die Schlösser des Ladens aus, damit er gar nicht erst auf die Idee kam.
    Nun, Bellingham ist kein Paradies. Es ist zwar bergig und grün und voller Natur, es ist aber auch eine Kleinstadt, bevölkert von sturen skandinavischen Immigranten, die sehr gut darin sind, Bäume zu fällen, Zement zu mischen und Sardinen in Dosen zu stopfen – und ansonsten unter sich zu bleiben. Es ist grau dort, stürmisch, regnerisch und kalt. Und es stinkt nach Sardinen, Tag und Nacht. Als reicher Linsen-Unternehmer ließe es sich bestimmt gut aushalten in Bellingham, Washington, nicht aber als Pleitier.
    Bis dahin hatte mein Vater sein Bestes getan, nach den »Bellingham Rules« zu leben, wie meine große Schwester das beengte Leben in dem Kleinstädtchen später nannte: bescheiden, verantwortungsbewusst, höflich, nur nicht auffallen. Im Moment der

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