Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)
Behörden und helfen, für die Kinder eine Schule oder eine Kita zu finden. Sie unterstützen einen dabei, eine neue persönliche Infrastruktur aufzubauen.
Zum Beispiel Lisa:
Auf der High School waren wir noch befreundet. Schon im letzten Jahr dort fehlte sie jedoch immer wieder, und nach dem Abschluss tauchte sie ganz ab. Später erfuhr ich, dass ihre Krankheit in einer Art Schizophrenie bestand.
Es war schrecklich. Ihre Eltern gaben ihr ganzes Geld und ihre ganze Energie für Psychiater und Krankenhäuser aus, bis sie nicht mehr konnten. Ein Selbstmordversuch folgte dem nächsten. Lisa wurde wieder klar im Kopf, dann brach die Krankheit erneut aus.
Irgendwann schaffte sie es, alleine zu leben, sogar das Studium abzuschließen, zu heiraten und ein Kind zu bekommen. Dann war die Krankheit wieder da. Bei der Scheidung hörte man die wildesten Vorwürfe vor Gericht. Niemand war sicher: Stimmte es? War es Einbildung?
Ihre Eltern waren pleite, und dann kam heraus, dass sie bei ihnen geklaut hatte. Die Eltern brachen den Kontakt ab. Sie überwarf sich mit ihrem Arbeitgeber, sie verlor das Kind an ihren Exmann. Sie wurde zur Alkoholikerin und schließlich aus der Wohnung geschmissen.
Wiederholt hatte sie staatliche Unterstützung bekommen – in Form von Wohngeld, medizinischer Hilfe und Zugang zu Therapien. Aber immer wieder verletzte sie die Auflagen, die damit verknüpft waren: Das Geld erreichte den Vermieter nie, sie trank wieder, nahm ihre Medikamente nicht, erschien nicht zur Therapie und flog regelmäßig aus den diversen Förderprogrammen.
Wie sie dann überlebte, bleibt ihr Geheimnis. Sie muss zumindest eine Weile im Auto übernachtet haben, zeitweise auf der Straße. Wie sie das Geld heranschaffte, weiß kein Mensch, und heute spricht sie nicht darüber.
Aber wir erfuhren, wie sie aus dem ganzen Schlamassel wieder herausgekommen ist: Sie fand eine Kirchengemeinde.
Man begleitete sie bei Behördengängen und brachte sie zur Therapie; man ermunterte sie, ihre Miete zu bezahlen, man verlangte von ihr, dass sie in ihren freien Stunden vor Ort aushalf. Man ließ sie fallen, wenn sie die Vereinbarungen nicht einhielt, und nahm sie wieder auf, wenn sie bereit war, es wieder einmal zu probieren.
Heute geht es ihr zwar nicht blendend, sie hat noch keine feste Arbeit und trinkt ab und zu, aber sie hilft bei der Kirche aus, arbeitet bei kleinen Projekten mit und ist selbständiger als je zuvor. Es sieht fast so aus, als würde sie es diesmal tatsächlich schaffen, eine Art eigenes Leben zu leben.
In meinem Land wird viel über das Problem Armut diskutiert: Was funktioniert, was funktioniert nicht, was sind die Ursachen? Der Tonfall ist immer aufrichtig, dennoch beschleicht mich ab und zu der Verdacht, dass niemand Armut wirklich abschaffen will. Arm zu sein ist einfach eine zu weit verbreitete, ja geradezu ur-amerikanische Erfahrung, als dass wir sie wirklich ernst nähmen. Denn fast die Hälfte von uns war einmal ganz unten. Mindestens.
Armut ist unsere Feuertaufe.
Statistisch gesehen verbringen 40 Prozent aller Amerikaner irgendwann im Leben eine Zeit lang in Armut. Das ist schon immer so gewesen. Die wenigsten Einwanderer kamen nach Amerika, weil es ihnen in Europa zu gut ging, ganz im Gegenteil. Bereits unsere Geschichte hat uns an Armut gewöhnt. Wir haben das verinnerlicht: Man muss da durch, bevor man zu einem echten Amerikaner wird.
Und wer das übersteht und seine schweren Zeiten nicht vertuscht, ist für uns ein Held. Die Liste der ehemaligen Obdachlosen, die heute zur gehobenen Gesellschaft gehören, ist viel länger, als man glaubt:
Der Milliardär John Paul DeJoria war in Los Angeles zweimal obdachlos, bevor er John Paul Mitchell Systems, die angesagte Kette von Friseurläden, mitbegründete. »Colonel« Harland Sanders, mit Kentucky Fried Chicken Begründer einer der größten amerikanischen Fastfood-Ketten, lebte während eines Teils seiner Jugend und selbst später noch als angehender Geschäftsmann in seinem Auto. Bestsellerautor Steven Pressfield (Die Legende von Bagger Vance) hauste nach seinen Erfahrungen im Vietnamkrieg ebenfalls lange Zeit in seinem Auto, zusammen mit seiner Katze. Die viel beachtete feministische Autorin Andrea Dworkin residierte vorübergehend unter einer Brücke.
Stars gehören gleichfalls dazu: Sängerin Jewel lebte als 18-Jährige mit ihrer Mutter in einem VW -Bus; Jazzlegende Ella Fitzgerald verbrachte ihre Jugend auf den Straßen von Harlem; Rockstar Kurt Cobain
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