Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)
Amerikaner.
– Um das amerikanische Durchschnittseinkommen von 51.500 Dollar zu erreichen, braucht man aber inzwischen einen höheren Universitäts-Abschluss und muss mindestens zwei Jahre mehr an der Uni verbringen.
Das ist neu.
»Mein Vater hatte nicht mal einen High-School-Abschluss und konnte eine Frau und vier Kinder durchbringen«, klagt etwa Autor Jim Goad in The Redneck Manifesto . »Meine Frau und ich haben beide Uni-Abschlüsse und keine Kinder. Wir arbeiten beide Vollzeit und kommen kaum über die Runden.«
Es war einmal, dass man schon nach vier Jahren College in der Mittelklasse willkommen geheißen wurde. Das meinte die besseren Jobs in der Industrie – Facharbeit, Wartung und Maschinenbetrieb bis hin zu Bürojobs wie Verkauf, Einkauf und Sachbearbeitung. Heute werden diese Stellen rar – und sind auch nicht mehr besonders gut bezahlt. Mit einem Bachelor gehört man oft nicht einmal mehr zur unteren Mittelklasse, sondern eher zur oberen Unterklasse. Das ist der wahre »middle class squeeze«.
Die Welt sieht Amerika auch heute immer noch so, wie sie es aus den 50ern kennt: Sehen Sie ein Bild von einem Mann mit kurzen Haaren, strenger Brille, weißem Hemd und Krawatte, denken Sie doch sofort: ein Ami.
Ja, das war der Mittelklasse-Amerikaner, der nach dem Zweiten Weltkrieg erschaffen wurde: fleißig, kapitalistisch geprägt, Vorstadt-Bewohner, firmen-, familien- und kirchentreu, ein wenig prüde. Ich denke da an Cary Grant in einem Hitchcock-Film oder Don Draper aus der TV -Serie Mad Men . Er war eine neue Erscheinung und ein Symbol für ein neues, starkes Bürgertum. Das aber ist der Ami, der jetzt verschwindet, ja, langsam ausstirbt. Deswegen gucken wir auch Mad Men so gerne: Es ist ein opulentes Abschiedsfest für den gepflegten Mittelklasse-Mann.
Wer ihn ersetzen wird, steht noch in den Sternen, aber ein paar vage Umrisse seines Nachfolgers zeichnen sich schon ab.
Ich muss dazu nun leider sagen, es sind meine Geschlechtsgenossen, die in den letzten 30 Jahren karrieretechnisch am wenigsten kapiert haben: Während der Jobmarkt für Männer im oberen Segment immer weiter expandierte, ist die Zahl der Herren, die sechs Jahre an der Uni zubrachten, leider nicht mitgewachsen. Dafür ist die Gruppe von Männern, die als Lebensziel die untere Mittelklasse anpeilen, gleich groß geblieben. Die Einzigen, die erkannt haben, woher der Wind weht, sind die Frauen.
Immer mehr Frauen gehen auf die Uni und bleiben dort länger als vier Jahre. Dann buhlen sie um die besseren Jobs im Dienstleistungssektor. Laut dem Wirtschaftsjournalisten Don Peck von The Atlantic Monthly gibt es seit dem Jahr 2000 etwa vier Millionen neue Jobs in den Bereichen, die von Frauen dominiert werden, einschließlich des Gesundheitswesens und des Bildungssektors.
Das verändert die Verhältnisse zu Hause. Diese Frauen sind zwar bereit, Männer zu heiraten, die weniger Bildung und schlechtere berufliche Chancen haben als sie, aber sie sind nicht bereit, ewig mit ihnen verheiratet zu bleiben. Rund die Hälfte von ihnen lässt sich spätestens nach zehn Jahren wieder scheiden, denn ein hübsches Muskelpaket daheim auf dem Sofa reicht ihnen offenbar nicht mehr. (Das eröffnet übrigens auch umtriebigen Unternehmern neue Möglichkeiten, denn diese Frauen werden zu alleinerziehenden Müttern mit guten Vollzeitjobs. Wenn Sie also eine gute Idee für eine innovative Art von Kinderbetreuung haben, die sich am besten gleich zur Kette ausbauen lässt, ist jetzt die Zeit zu handeln …)
Wie immer sind es die Sitcom-Macher – nicht die Soziologen oder gar Journalisten –, die den Trend erkennen. Das ist fast immer so: Sitcoms lügen nie. So wurde zum Beispiel schon in den 80ern die schwarze Mittelklasse-Familie gefeiert, unter anderem in der Bill Cosby Show , während der Rest der Nation erst mit der Wahl Obamas überhaupt wahrnahm, dass es eine »schwarze Mittelklasse« gibt.
Der neue Trend ist an den Sitcoms schon vage abzulesen. 1998 war der fette Komiker Kevin James in King of Queens als ungelernter Paketauslieferer mit einer Chefsekretärin verheiratet, deren Karriereziele weit über die seinen hinausgingen. Auch in den Kindern der Simpsons spiegelt sich das Phänomen wider: Aus dem Rabaukensohn Bart wird offenbar nichts. Er weiß das auch und findet es cool. Seine kleine Schwester Lisa hingegen, die unter der Dummheit ihres Vaters und Bruders leidet und sich nach intellektueller Betätigung sehnt, wird eines schönen Tages in einem
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