Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)
Chapman, lebte von 1774 bis 1845 und wurde in seiner Kindheit und Jugend vor allem von zwei Dingen geprägt: von der Baumschule, in die seine Eltern ihn als Kind gaben, damit er eine Lehre absolvierte, und von den Swedenborgianern.
Emanuel Swedenborg war ein schwedischer Erfinder, Wissenschaftler, Mystiker und Theologe, der behauptete, mit Geistern von allen damals bekannten Planeten von Venus bis Jupiter gesprochen und von ihnen die wahre christliche Lehre erfahren zu haben. Im Reich der Geister habe er auch das Zweite Kommen Christi mitbekommen, das wir hier auf Erden leider verpasst hätten. Er war halt ein höchst kreativer Kopf, und seine vielfältigen wissenschaftlichen, theologischen und philosophischen Schriften haben, so sagt man, auf die eine oder andere Weise Goethe, Dostojewski, Balzac, C.G. Jung, ja sogar Joseph Beuys und viele mehr beeinflusst.
Im Vergleich zu seinen Visionen wirkt die Kirche, die aufgrund seiner Schriften gegründet wurde und die es mit rund 2.000 Mitgliedern in Amerika heute noch gibt, recht gemäßigt: Die Lehre wird weniger gepredigt als diskutiert, und jeder ist selbst dafür verantwortlich, was er glauben will und was nicht. Swedenborgianer sind, in typisch schwedischer Manier, allen sozialen Streitthemen gegenüber – als da wären Sexualmoral, Frauen im Priesteramt, Homosexualität, Abtreibung – recht aufgeschlossen. Der Kernpunkt ihres Glaubens scheint für sie der zu sein, dass man nett zueinander ist. Es handelt sich wirklich um eine sehr nette Kirche. Zufälligerweise passte das gut zu Johnny Appleseed: Auch er war ein sehr netter Mensch.
Warum er fast sein ganzes Leben auf der Straße verbrachte, weiß niemand mehr. Aber er tat es tatsächlich barfuß: Mit kaum Hab und Gut auf dem Rücken durchstreifte er immer wieder die Bundesstaaten Ohio, Indiana und Illinois. Später behauptete er, über 6.500 Kilometer erwandert zu haben. Und unterwegs pflanzte er Apfelbäume.
Abends schlief er draußen oder kehrte bei Fremden ein, wo er Abendessen und ein Bett oder auch nur einen Platz auf dem Boden bekam. Im Gegenzug erzählte er von seinem Leben unterwegs, von der Bedeutung der Natur, von dem symbolischen Wert der Äpfel – und er predigte den Swedenborgismus.
Er liebte die Natur so sehr, dass es ihm leidtat – so damalige Berichte –, selbst einer Mücke wehzutun. Eines Nachts saß er am Lagerfeuer und merkte, dass Moskitos in die Flammen flogen und verbrannten. Da machte er das Feuer aus. Später erklärte er: »Gott bewahre, dass ich mich an einem Feuer erfreue, das das Leben seiner anderen Schöpfungen zerstört.« Selbstverständlich war er Vegetarier.
Bald war er berühmt – nicht nur als Spinner, sondern als überaus höflicher und netter Spinner. Seine Persönlichkeit überzeugte. Er war Amerikas erster Umweltschützer und das, ohne penetrant zu wirken. Da sind wir ja ein bisschen empfindlich.
Doch Johnny Appleseed wäre kein Amerikaner gewesen, wenn das schon alles gewesen wäre. Dass er überall Apfelbäume pflanzte, war Teil eines Geschäftsplans.
Überall, wo er hinging, gab es noch unbesiedeltes Land, das er billig kaufte, pachtete oder schlicht in Anspruch nahm. Dort, auf seinen eigenen Grundstücken, pflanzte er seine Bäume, und zwar gleich ganze Baumschulen. Er pflegte sie, bevor er weiterzog und neue Baumschulen gründete, und kehrte nach einiger Zeit auf seinen Runden immer wieder zurück und hegte und pflegte sie weiter.
Er baute Amerikas erste Kette auf – eine Baumschulkette. Er wusste, dass die Amerikaner den Westen immer weiter besiedeln würden, und wenn sie kamen, wäre er da, um ihnen Äpfel zu verkaufen.
Es gibt sogar eine etwas weniger unschuldige Theorie über seinen Geschäftsplan. In seinem Buch The Botany of Desire untersuchte Michael Pollan die Geschichte von Johnny Appleseed und behauptete, dass seine bevorzugte Apfelsorte gar nicht zum Verzehr geeignet war – viel zu sauer. Allerdings konnte man daraus einen hervorragenden Apfelwein herstellen: »Was Johnny Appleseed wirklich tat, und der Grund, warum er in jeder Hütte in Ohio und Indiana gern gesehen war – er brachte das Geschenk des Alkohols in den Westen.«
Leider war er ein besserer Gärtner als Geschäftsmann. Er führte schlecht Buch und verlor so viele seiner Baumschulen wieder. Überhaupt, er besaß nie ein eigenes Haus. Er hatte offenbar vor, Geld zu verdienen, aber vermutlich keine feste Vorstellung davon, was er damit tun würde, wenn es endlich in Strömen floss.
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