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Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)

Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)

Titel: Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric T. Hansen
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Privilegien und Freiheiten als andere. Und der gebürtige Schotte ging noch einen Schritt weiter: Ließe man dem natürlichen Kapitalismus freien Lauf, würde er irgendwann alle Probleme Amerikas lösen, ach was, der ganzen Welt, einschließlich des Problems des ungleich verteilten Wohlstands, und ein goldenes Zeitalter einläuten, in dem Frieden auf Erden herrsche.
    Wenn das keine Religion ist!
    Die Kirche des amerikanischen Kapitalismus hat zwei große Propheten vorzuweisen:
    Es gehört zu den merkwürdigsten Ironien der Geschichte, dass ausgerechnet in dem Jahr, als Amerika sich von England lossagte, 1776 also, ein epochemachender Leitfaden zur Gestaltung der Wirtschaft erschien: Adam Smiths Der Wohlstand der Nationen .
    In Europa betrachtete man die Wirtschaft bis dahin als Stiefkind der Politik. Genauso wie der Adel für Krankenhäuser, Kriege und Kultur zuständig war, hatte er sich um die Wirtschaft zu kümmern. Smith wies indes nach, dass eine Wirtschaft, die von oben verwaltet wird, schlechter funktioniert als eine, die quasi »von unten« geregelt wird: Der Ladenbesitzer weiß besser, was seine Kunden kaufen wollen, als der Fürst. Die Einmischung des Landesherrn in die freien Märkte schadet mithin mehr, als sie hilft.
    Das passte zu einer Demokratie wie die sprichwörtliche Faust aufs Auge. Die Gründerväter erkannten die einmalige Gelegenheit sofort: Während in England die politischen und wirtschaftlichen Gewohnheiten nur langsam aussterben würden, konnten sie die Smith’sche Lehre von Anfang an praktisch anwenden und ausprobieren. Seitdem ist der Traum vom freien Markt und ungebremsten Kapitalismus in Amerika so wichtig wie der Traum von der Demokratie selbst. Auch ein Amerikaner, der keine Ahnung von Wirtschaft hat und nicht einmal weiß, wer Adam Smith war, wird die Grundprinzipien des freien Marktes lautstark verteidigen und bei Gott schwören, er würde lieber sterben, als davon abzuweichen.
    Der andere große Prophet hieß Horatio Alger.
    Wie bitte? Nie gehört? Macht nichts, niemand kennt ihn mehr, und keiner liest seine Bücher. Das ist auch gut so, denn es waren schlechte Bücher. Die zahlreichen Parodien auf Algers Machwerke sind besser als diese selbst. Trotzdem war der Mann ein Genie.
    Horatio Alger schrieb rund 100 Jugendromane, angefangen 1867 mit Ragged Dick , und alle nach dem gleichen Muster:
    Der 14-jährige »Ragged Dick« (»Lumpen-Richard«) lebt vor dem Bürgerkrieg auf den Straßen New Yorks, hängt mit Halbstarken rum, raucht und trinkt und steht bereits mit einem Bein im Gefängnis. Doch er träumt davon, anständig zu werden, und bekommt seine Chance, als Mr. Greyson ihn eines Tages in die Kirche mitnimmt und ihm als Bezahlung für eine kleine Gefälligkeit fünf Dollar gibt. Dieses Geld bringt Dick auf die Bank. Er arbeitet, spart, bald kann er sich eine eigene Wohnung leisten; er lernt fleißig und bessert sich, erwirbt anständige Manieren, rettet ein Kind vor dem Ertrinken, bekommt einen Anzug als Belohnung und einen Job in einer richtigen Firma. Fortan gehört er zur Mittelklasse. Er ist ein respektierter Bürger geworden.
    Die Deutschen nennen die »Ragged Dick«-Legende den Aufstieg »vom Tellerwäscher zum Millionär«; wir nennen sie »from rags to riches« – »von den Lumpen zum Reichtum«.
    So ein Quark schreit geradezu nach Parodien. Mark Twain hat gleich mehrere geliefert, eine zynischer und erbarmungsloser als die andere, aber die beste Alger-Parodie von allen ist F. Scott Fitzgeralds Roman Der große Gatsby . Es ist schwer zu glauben, dass Jungs im 19. Jahrhundert so einen langweiligen, betulichen Schmarrn gelesen haben. Aber sie verschlangen die Bücher regelrecht. Schon mit 14 träumt der Amerikaner den amerikanischen Traum, er weiß es bloß noch nicht.
    Das gilt übrigens auch für diejenigen, die es nicht zugeben. Selbst die politisch Korrekten unter uns, die vorgeben, die »rags to riches«-Mentalität nicht zu teilen, weil sie andere, höhere Werte verfolgen – auch sie haben schon als Kind die Botschaft von Ragged Dick verinnerlicht. Als Mark Twain, das Gewissen der Nation, reich wurde, verbriet er sein Geld sofort im Rahmen hirnrissiger Investitionen, um noch reicher zu werden. Und auch der »Kapitalismuskritiker« F. Scott Fitzgerald hat nur dafür gelebt, von einer Party der Reichen und Schönen zur nächsten zu jagen.
    Horatio Alger haben wir inzwischen vergessen, vielleicht, weil er uns auch ein wenig peinlich ist. Trotzdem handelt es sich bei

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