Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)
Kapitalismus so viel wie sie. Der Rest der Welt wusste noch gar nicht recht, was Aktien, Börse und Versicherungen waren, die Holländer aber hatten es darin bereits zu Meistern gebracht.
Allen voran die mächtige, weltumspannende Aktiengesellschaft Dutch West India Company. Sie war sehr am lukrativen nordamerikanischen Pelzhandel interessiert und kaufte den Manahatta-Indianern ihre Insel für 60 Gulden ab (in Waren natürlich – das entsprach rund 1.000 Dollar heute). Dort, am Hudson River, gründete sie die Kolonie New Netherlands.
Im Gegensatz zu ihren englischen Konkurrenten waren die Holländer sofort erfolgreich: Schon im ersten Jahr verschifften sie Pelze im Wert von 45.000 Guilders nach Europa.
Nieuw-Amsterdam war mit weniger als tausend Einwohnern schon damals durch und durch kosmopolitisch. 1640 zählte ein Besucher bereits 18 Sprachen auf den Straßen. Und alle New Amsterdamer waren nur zu dem einen Zweck dort: um Geld zu verdienen. Bevor sie überhaupt auf die Idee kamen, eine Kirche zu bauen, dauerte es 17 Jahre.
Viertens: Europäer haben manchmal den Eindruck, dass wir Amerikaner nur an der Oberfläche und auf den ersten Blick freundlich sind und eigentlich knallhart ganz egoistische Ziele verfolgen. (Man hört zum Beispiel oft die Klage, dass Freundschaften mit ehemaligen Kollegen in den USA schlagartig enden, sobald man den Job gewechselt hat.)
Ich verrate Ihnen ein Geheimnis: Es stimmt. Wir finden auch nichts weiter dabei. Jeder Amerikaner weiß, dass jeder andere mindestens bis zu einem bestimmten Grad genauso ist. Der Grund: Unser Privatleben und unser Streben nach Geld sind längst miteinander verschmolzen. Die Kunst, Freundschaften zu pflegen, verstehen wir als Teil unseres Geschäftsplanes. Nicht nur – aber oft.
Wir nennen das »professionalism«.
»Professionalism« ist eigentlich ein tolles Wort. Es beschreibt nicht nur das innere Engagement, das der Profi für seine Arbeit aufbringt, sondern auch den ständigen und ganz pragmatischen Drang nach Optimierung. Es ist also der Versuch, den Mechanismus des großen Ganzen zu verstehen. Wenn wir verstehen, wie die Dinge funktionieren, können wir sie vielleicht dazu bringen, besser zu funktionieren.
Wir wollen das alles wissen, damit wir besser verkaufen können – aber nicht nur das. Wir wollen auch wissen, wie das Verkaufen selbst funktioniert; wie, wann und warum jemand etwas erwirbt und ob Käufer mit anderer ethnischer Herkunft, in anderen Vierteln, mit einem anderen Glauben etwas anderes kaufen. Gehen mehr Frauen oder Männer ins Kino? Mehr Jugendliche oder Erwachsene? Und wer bestimmt den Film – der Mann oder die Frau? Wer zahlt? Hinter der modernen Wissenschaft des Marketings steckt nichts anderes als unser Drang, ein Produkt dem Kaufverhalten des Kunden genauer anzupassen.
»Professionalism« gilt aber nicht nur für einzelne Produkte und für das Kaufverhalten generell, es gilt für alles! Auch für die Wirtschaft an sich: Die betrachten wir wie ein Puzzle, das gelöst werden muss. Während man in Europa Philosophie studieren muss, um als intellektuell zu gelten, muss es in Amerika schon Wirtschaftswissenschaft sein. Das sieht man an den Nobelpreisen. Von den 69 Gewinnern eines Nobelpreises für Wirtschaftswissenschaften seit der ersten Vergabe 1969 waren 49 Amerikaner.
»Professionalism« ist letztlich auch der Grund, warum wir Amerikaner so begeistert Daten sammeln. Während viele Europäer Volksbefragungen rundweg ablehnen, lieben wir sie. Sie sagen uns, wer wir sind. Wenn wir wissen, welche Religion, welche Hautfarbe, welches Alter die Menschen in unserer Nachbarschaft haben, können wir nicht nur herausfinden, welche coolen neuen Produkte sie am schmerzlichsten vermissen, sondern auch, welche Gesetzesinitiativen ihnen am wichtigsten sind.
Schon vor der Staatsgründung wurden in einzelnen Kolonien Befragungen durchgeführt, aber je stärker die Bevölkerung wuchs und je heterogener sie wurde, desto flächendeckender wurden auch die Erhebungen. 1810 kamen Fragen über Produkte im Haushalt dazu; 1850 wurden zusätzlich Fragen zu Steuern, Kirchgang, Armut und Kriminalität in den Katalog aufgenommen. Die Befragung 1880 war bereits so umfangreich, dass es eine Dekade dauerte, bis sie fertig ausgewertet war.
Auch wenn Facebook und Google die Daten ihrer Kunden sammeln und auswerten, gibt es in Amerika nur wenige, die Böses wittern: Wir gehen sowieso davon aus, dass Google und Facebook diese Daten in dem Sinne verwenden,
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