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Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)

Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)

Titel: Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric T. Hansen
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Sprung in die Mittelklasse geschafft – und nie wieder über ihre Herkunft gesprochen. Ihre Kinder wuchsen auf, ohne zu wissen, wo sie wirklich herkommen. Man erzählte ihnen irgendwas von Immigration und Ellis Island und harten Zeiten, aber man vergaß zu erwähnen, dass man einmal zum »white trash« gehörte. Amerika gibt sich gern als bürgerliche Mittelklasse, ist aber im Herzen eine Nation, die aus einer einzigen riesigen Unterschicht besteht.
    Wer verstehen will, wie Amerikaner ticken, muss wissen, wo wir herkommen – und bei der Mehrzahl unserer Vorfahren handelte es sich nicht einfach um Menschen aus der Unterschicht, sondern um weiße Sklaven.
    Die »indentured servitude« – zu Deutsch »Schuldknechtschaft« – ging aus der Tradition der Leibeigenschaft hervor und ist ein anderer Begriff für Sklaverei auf Zeit. Es funktionierte so: Irgendein armer Schlucker ohne jede Aussicht auf Arbeit in England, Irland oder Deutschland kommt mit Sack und Pack zum Hafen und bittet um ein Ticket nach Amerika, wo es angeblich Arbeit gibt. Natürlich kann er sich die Überfahrt nicht leisten – wer so viel Geld besitzt, hat auch einen Job und muss die Heimat gar nicht erst verlassen. Kein Problem, sagt da der Vertreter der Reederei, die mit genau solchen Fällen ihr Geld verdient, der Emigrant kann die Kosten der Überfahrt auch gern erst in Amerika abarbeiten: So dauert es zum Beispiel nur an die drei bis fünf Jahre, bis die Schuld von rund 15 Pfund beglichen ist. Der Vertrag, der nun aufgesetzt wird, besteht allerdings nicht zwischen Arbeitgeber und Emigrant, sondern zwischen Emigrant und Reederei. Angekommen im Hafen von New York, wird der Einwanderer bzw. sein Arbeitsvertrag von der Reederei dann an den Höchstbietenden verkauft, ganz egal, wer der Bietende ist und was er mit dem Neuankömmling vorhat – und am besten für viel mehr als 15 Pfund.
    Erst da wird dem Einwanderer oft bewusst, was er da für einen Scheiß unterschrieben hat. Was er arbeiten muss und wo, bestimmen andere. Und auch sonst hat er nichts zu melden: Für den Zeitraum des Vertrages verzichtet er auf so gut wie jedes Persönlichkeitsrecht. Er verliert in dieser Zeit jeglichen Anspruch auf eine bessere Behandlung, bessere Bleibe, bessere Arbeitsbedingungen oder gar besseres Essen. Und nicht nur das: Ist auf der Überfahrt seine Ehefrau gestorben, muss er ihren »Arbeitsvertrag« gleich zusätzlich mit erfüllen. Ist er oder sie unverheiratet, darf er in dieser Zeit in Amerika nicht heiraten, und sie darf dazu auch noch keine Kinder bekommen.
    Beileibe nicht alle von ihnen kamen freiwillig – vor allem nicht im 17. Jahrhundert, als Amerika noch eine Kolonie war. Jeder Passagier, der an Bord war, wenn das Schiff einen europäischen Hafen verließ, bedeutete bares Geld für die Reederei: Er konnte in Amerika gewinnbringend verkauft werden. In England war es deshalb alles andere als ungewöhnlich, dass unterbeschäftigte Reederei-Agenten Obdachlosen oder Besoffenen eins über den Schädel zogen und sie aufs Schiff schleppten. Und das betraf nicht nur Erwachsene: So viele Waisenkinder wurden auf diese Weise nach Amerika verschifft, dass das englische Wort für »Entführung« gar aus dieser Zeit stammt: »kidnapping« – »sich Kinder schnappen«.
    Unter Umständen war das nicht mal illegal: Waisenkinder und Kriminelle wurden oft mit Wissen und unter Tolerierung der Behörden an Reedereien verkauft, weil die Unterbringung in den überfüllten Waisenhäusern und Gefängnissen zu teuer wurde. 1669 forderte das Scottish Privy Council – das Gremium der königlichen Berater – die Polizei auf, sämtliche »gesunden und unbeschäftigten Bettler, Landstreicher, Ägypter (= Zigeuner), bekannten Huren, Diebe und andere zwielichtige und unlautere Personen« einzusammeln und in die Neue Welt zu verschiffen. Die Diebin Mary Stanford beispielsweise hatte so viel Angst vor der Deportation nach Amerika, dass sie um eine mildere Strafe bat: Sie wollte stattdessen doch lieber erhängt werden.
    Der einzige Unterschied zwischen einem »indentured servant« und einem schwarzen Sklaven bestand darin, dass die Weißen nach einigen Jahren wieder frei waren.
    Abgesehen davon, dass der Vertrag eines »indentured servant« zeitlich begrenzt war und er ihn in der Regel selbst unterschrieben hatte, war sein Alltag nicht anders als der eines schwarzen Sklaven. (Die Wörter »servant« und »slave« waren sogar eine ganze Zeit lang beliebig austauschbar, Synonyme mithin.)

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