Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)
aufzusteigen. Wenn unsere Vorfahren von »Freiheit« sprachen, meinten nur die wenigsten »religiöse Freiheit« damit. Die Mehrheit meinte schlichtweg die Freiheit, ihr finanzielles Los zu verbessern.
Die Loser Europas sahen den Kapitalismus als einen Weg in ein anderes Leben an, und dieser Glaube wurde von Generation zu Generation weitergegeben. Noch heute saugen wir ihn mit der Muttermilch ein, wir haben ihn restlos verinnerlicht.
Die Tatsache, dass die meisten von uns diesen Traum nie verwirklichen können, auch nicht ansatzweise, scheint uns merkwürdigerweise nicht zu stören.
Eine Studie nach der anderen belegt, dass Amerika eines der am wenigsten geeigneten Länder der Welt ist, um dem American Dream nachzujagen. Kanada bietet da viel bessere Möglichkeiten, in den skandinavischen Ländern geht es am leichtesten, sogar in Deutschland kann man viel eher seinen Traum erfüllen als in Amerika, was zum größten Teil daran liegt, dass ein gesellschaftlicher Aufstieg eine höhere Bildung voraussetzt. Und Bildung ist in Amerika bekanntlich teuer.
In ihrem Buch The American Dream and the Power of Wealth ging die Soziologin Heather Beth Johnson diesem Sachverhalt nach. In Interviews mit 232 schwarzen und weißen Eltern aus der Mittelklasse sowie mit 20 Eltern aus reichen Familien hakte sie nach: Ob sie glauben, dass eine höhere – und oft unerreichbar teure – Bildung ausschlaggebend für den Erfolg ihrer Kinder sei? Alle antworteten mit Ja. Niemand hegte die Illusion, dass eine gute Universität, zu der meistens nur die Reichen (und gute Sportler) Zugang haben, unwichtig sei. Und sie wussten auch – zumindest die aus der Mittelklasse –, dass ihre Kinder nie in den Genuss einer solchen Ausbildung kommen würden.
Dennoch glaubten alle durch die Bank an den amerikanischen Traum.
Warum?
Alexis de Tocqueville nannte es »den Charme des erwarteten Erfolges«. Jeder in Amerika glaubt jede Sekunde seines Lebens fest daran, dass etwas Wundervolles passieren kann. Hat er eine tolle Geschäftsidee, sieht er sich schon in seiner Traumvilla. Macht er gern Witze und bringt andere damit zum Lachen, hat er das Gefühl, er sollte im Fernsehen auftreten. Verliert er seinen Job und versucht sich an einer neuen Karriere, denkt er sich: »Diesmal bin ich nicht zu stoppen.« Und wenn er auf die Schnauze fällt, ist es zwar enttäuschend, aber er weiß, er ist unter seinesgleichen. Schon am nächsten Tag wird einer sagen: »Hey, diese Idee, die du damals hattest – die fand ich toll. Wieso machst du das nicht?« Amerika ist ein Land der Träumer, aber dafür sind wir unter uns, und es gefällt uns hier.
Andrew Sullivan, gebürtiger Engländer und heute einer der wichtigsten politischen Kommentatoren Amerikas, beschrieb es so:
»Sechs Wochen, nachdem ich nach Cambridge (Massachusetts) zog, schrieb ich an meine Eltern: ›Es mag seltsam klingen, aber ich habe das Gefühl, dass ich endlich zu Hause angekommen bin. Der Umgang miteinander ist hier viel natürlicher und freundlicher als in England.‹ Das hatte ich überhaupt nicht erwartet. Ich liebte es, dass man hier Sachen tun und Dinge sagen konnte, und die Leute reagierten mit: ›Hey, cool.‹ Und nicht mit: ›Was glaubst du, wer du bist? Wo kommst du überhaupt her? In welcher Schule bist du gewesen?‹ Diese ganze typisch britische Negativhaltung. Als enthusiastischer Student in Oxford bin ich immer wieder gegen diese Mauer aus Zynismus und Negativität und Neid und Groll gegenüber jeder Art von Erfolg und Ehrgeiz und Leistung angerannt. Und plötzlich kam ich in eine Gesellschaft, wo diese Dinge geschätzt wurden. Ich wusste sofort, dass ich den Rest meines Lebens hier bleiben will.«
Wir glauben aus dem gleichen einfachen Grund, weshalb auch der gläubige Mensch glaubt: Weil der Glaube unser Leben bereichert. Nichts weiter. Wir lieben es, an den amerikanischen Traum zu glauben.
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Wir müssen alles kaufen
W o ich auch hinschaue: Nichts als antiamerikanische Klischees.
Zum Beispiel: Wir Amis lassen den Fernseher laufen, wenn wir das Haus verlassen. Wir werfen die Klimaanlage an, sobald die Sonne aufgeht. Unsere Kühlschränke sind so groß wie anderer Leute Schlafzimmer, und das ist nur der in der Küche – der im Keller ist noch größer. Wir fahren mit dem Auto zum Supermarkt, obwohl er nur zwei Straßen weiter ist. (Aber wie sollen wir auch sonst dahin kommen? Es gibt ja keine Bürgersteige.) Wir sehen einen Baum friedlich in der Gegend rumstehen und denken:
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