Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)

Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)

Titel: Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric T. Hansen
Vom Netzwerk:
Hatfields Richter war, unfaire Gefängnisstrafen, noch mehr Blutrache, Überfälle, Prügeleien, Messerstechereien, Selbstjustiz, Brandstiftung, Morde an Kindern und Frauen, Drohungen seitens des Gouverneurs von West Virginia, mit der Armee einzumarschieren – und nicht zuletzt eben den unglaublich zähen Patriarchen Devil Anse, der die Fehde überlebte und erst 1921 mit 81 Jahren aus Altersgründen friedlich von uns gegangen ist.
    Das waren die heimlichen Gründerväter: irgendwelche Hinterwäldler-Großfamilien in den Bergen, auf sich selbst und ihre Waffen angewiesen und im Überlebenskampf stets bereit, anderen Gewalt anzutun. Es existiert ein Familienfoto der Hatfields: Der ganze Clan steht oder kniet vor dem Haus, herausgeputzt in ihrem Sonntagsstaat – und fünf von ihnen, einschließlich eines kleinen Jungen, halten stolz ihre Gewehre vor der Brust.
    Und seither hat keiner was dazugelernt. Eine der wichtigsten Traditionen des »white trash« besteht nach wie vor darin, irgendwann irgendwas zu tun, das einem letztlich selbst am meisten schadet …
    Im 19. Jahrhundert warfen die großen Firmen ein Auge auf die ganze ungenutzte Kohle und das Holz in den Appalachen. Das sind jene malerischen Berge, die sich durch 18 Bundesstaaten an der Ostküste von Kanada bis nach South Carolina ziehen. Die Unternehmen machten den Bewohnern der Berge ein tolles Angebot: »Ihr gebt uns eurer Land, und dafür könnt ihr auf eurem Land für uns arbeiten.« Natürlich willigten diese bereitwillig ein. Vermutlich konnten die meisten zwar nicht einmal ihre Unterschrift unter den Vertrag setzen, da sie ihren eigenen Namen nicht zu schreiben vermochten. Aber sei’s drum. Seitdem jedenfalls ging es mit den Hillbillies, diesen armen Schluckern in den Bergen Kentuckys und Tennessees, abwärts.
    Ein Leben in den Bergwerken, in völliger Abhängigkeit von diesen Großkonzernen, war typisch für den »white trash«: Die Arbeiter mussten in Häusern wohnen und in Läden einkaufen, die den Unternehmen gehörten, und zahlten entsprechend überteuerte Preise. Das Lied Sixteen Tons von Tennessee Ernie Ford beschreibt den Teufelskreis der Abhängigkeit im Rahmen des so genannten Scrip-Systems, bei dem ein Bergmann in Kentucky für seine Arbeitsleistung kein Bargeld erhielt, sondern Chips aus Blech, die er nur in konzerneigenen Geschäften einlösen konnte:
    Es heißt, der Mensch sei aus Lehm gemacht,
    Doch ein armer Mann besteht nur aus Knochen und Blut, Muskeln und Blut und Knochen und Haut,
    Der Rücken ist stark, nur der Geist ist schwach.
    Du schippst 16 Tonnen, und was ist der Lohn?
    Du bist einen Tag älter und tiefer im Soll.
    Sankt Petrus, was willst du? Ich kann hier nicht fort,
    Ich schulde meine Seele dem Laden vom Boss.
    Some people say a man is made outta mud
    A poor man’s made outta muscle and blood
    Muscle and blood and skin and bones
    A mind that’s a-weak and a back that’s strong.
    You load sixteen tons, what do you get
    Another day older and deeper in debt
    Saint Peter don’t you call me ’cause I can’t go
    I owe my soul to the company store.
    Letztlich sind wir alle irgendwie »white trash«. Die allermeisten von uns – vermutlich bis zu 80 Prozent – stammen vom »white trash« ab oder sind es noch.
    Ich wuchs in einem ganz normalen Mittelklasse-Haushalt auf. Meine Eltern achteten darauf, dass wir in der Schule fleißig lernten. Wir waren Mitglieder in einer gutbürgerlichen Kirche und gingen sonntags auch dahin. Wir besaßen jede Menge Bücher, und unsere Eltern ermunterten uns Kinder, diese auch zu lesen. Wir malten und musizierten. Ich werde nie vergessen, was für eine Enttäuschung es für meine Mutter war, als ich anfing, Comic-Hefte zu sammeln, Conan , Spiderman , Captain America . Sie versuchte immer wieder, mir Anna Karenina unterzuschieben.
    Eines Tages besuchten wir das alte Zuhause meines Vaters auf dem Festland in Bellingham, Washington. Es lag weit draußen vor der Stadt – und war nichts weiter als eine verlassene Holzhütte im Wald. Zuerst verstand ich gar nicht, was ich da vor mir hatte.
    Als ich es endlich begriff, war es wie ein Schock: Mein Vater war im tiefsten Wald ohne Strom aufgewachsen. Er hat den Sprung in die Mittelklasse nur mit Hilfe der Armee geschafft – als er sich zur Offiziersschule meldete und dort Ingenieurwesen studierte. Sonst wäre er wie sein Vater ein Hillbilly geblieben.
    Die meisten unserer Vorfahren sind so oder ähnlich aufgewachsen. Irgendwann haben sie dann den

Weitere Kostenlose Bücher