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Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)

Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)

Titel: Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Eric T. Hansen
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Essen war eine Zumutung, und viele Passagiere, vor allem Kinder und Frauen, die unterwegs niederkamen, starben auf der Überfahrt elendiglich.
    In Pennsylvania angekommen, durfte niemand das Schiff verlassen, der nicht schon voll bezahlt hatte oder nicht bereits gekauft worden war, selbst wenn er im Sterben lag.
    Jeden Tag kamen Engländer, Holländer oder Deutsche an Bord und suchten sich einen Passagier aus: Erwachsene gingen meist drei- bis sechsjährige Arbeitsverträge ein, je nach Alter und Gesundheitszustand, Jugendliche hatten zu arbeiten, bis sie 21 waren. Manche Eltern mussten ihre Kinder verkaufen, als wären sie Vieh.
    Die Arbeit erforderte Malocher: Tagtäglich Bäume fällen und Felder roden. »Gekaufte Europäer müssen den ganzen Tag lang arbeiten, und so lernen sie, dass ein Baumstamm in Amerika genauso schwer ist wie in Deutschland«, schrieb Mittelberger. »Menschen, die sich überreden lassen, die Heimat zu verlassen und den Ozean zu überqueren, sind völlige Narren, wenn sie wirklich glauben, dass ihnen in Amerika gebratene Tauben in den Mund fliegen werden, ohne dass sie dafür arbeiten müssen.«
    Und sein Bericht war nicht der einzige. Bis ins 20. Jahrhundert hinein wurden immer wieder solche Warnungen veröffentlicht. Im 19. Jahrhundert versuchten selbst Regierungen, ihre ausreisewilligen Bürger zu warnen. Charles Dickens hat von Amerika abgeraten – und machte aus seiner Warnung einen Bestseller. Viele Einwanderer wussten, was sie in den Slums von New York, in den Minen von Kentucky, auf den Ölfeldern von Texas oder an der Eisenbahnstrecke irgendwo in den Weiten Montanas erwartete.
    Trotzdem kamen sie – millionenfach.
    Zwei Drittel aller Einwanderer bis zum Zeitpunkt der Staatsgründung 1776 und über die Hälfte der Einwanderer bis zur Mitte des 19. Jahrhunderts kamen als »indentured servants«. 80 Prozent aller britischen Einwanderer insgesamt hatten diesen Status inne und die meisten der irischen und schottischen und der fünf Millionen deutschen Einwanderer ebenfalls.
    Warum taten sie sich das an?
    Es herrschte damals eine Situation, die wir in Amerika mit dem Begriff »carrot and stick« beschreiben. So wird ein Maulesel angetrieben: Man hängt ihm als Köder eine Karotte vor das Maul, aber weil das bei Mauleseln nicht reicht, peitscht man ihn zusätzlich von hinten.
    Die Peitsche war Europa selbst.
    Zum Beispiel England:
    Als dort das Mittelalter langsam auslief und das industrielle Zeitalter begann, wurden die Fürsten sich plötzlich der ganzen nutzlosen Leibeigenen auf ihrem Land bewusst, die immer noch in der finanziell uninteressant gewordenen Landwirtschaft arbeiteten.
    Also vertrieb man sie.
    Zwischen 1530 und 1630 wurde die Hälfte der englischen Leibeigenen obdachlos. Die Landstraßen waren voller Arbeitsloser, die verzweifelt nach irgendeinem Lebensunterhalt suchten und langsam auf die Hauptstadt zumarschierten, was zur Folge hatte, dass die Bevölkerung Londons zwischen 1550 und 1650 auf fast das Dreifache anstieg. Man nannte die Zugezogenen »sturdy beggars« – »robuste Bettler« –, um sie zu unterscheiden von den ganzen Krüppeln, Wahnsinnigen, Besoffenen und Heruntergekommenen, zu denen sie sich jetzt gesellten.
    Nun ist England neben Amerika wahrscheinlich das patriotischste Land der Welt, und ich bin sicher, dass auch die armen Engländer damals ihr Land liebten und stolz darauf waren, Engländer zu sein. Aber Patriotismus funktioniert nur so lange, bis man merkt, dass man vom Staat, den man liebt, nichts zurückbekommt. Die neuen Arbeitslosen hatten keinen Grund mehr zu bleiben.
    Die Karotte war der Wunsch nach einem eigenen Stück Land.
    Im noch mittelalterlich angehauchten Europa, wo die »indentured servants« herkamen, bedeutete Land alles. Land war Sache des Fürsten. Grundbesitz machte einen Menschen zum »Gentleman«. Die »indentured servants« wussten das nur allzu gut, hatten doch viele von ihnen ihr Leben als Leibeigene auf den Ländereien eines Fürsten zugebracht, bis dieser eine bessere Verwendung dafür fand, zum Beispiel als Schafweide. In Europa hätten sie keine Chance gehabt, Land zu erwerben: selbst, wenn sie das nötige Geld zusammengekratzt hätten – der Fürst erlaubte dergleichen nicht. In Amerika aber gab es Land, und damit auch die Chance, selbst zum Grundbesitzer und damit zu einer Art Gentleman zu werden. Solch eine verwegene Idee wäre ihnen in Europa nie gekommen.
    Der Grund ihres Kommens lag darin, Geld zu verdienen und

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