Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)
verkaufte sie als Snack und auch als Tierfutter weiter. In New York kostete ein Paar Wandertauben zwei Cent, und viele Sklaven und »indentured servants« kannten ihr ganzes Leben lang kaum eine andere Sorte Fleisch.
Es gab schon Versuche, dem großen Vogeltöten ein Ende zu machen. In Ohio wurde ein Gesetz zum Verbot der Jagd vorgeschlagen, woraufhin eine Expertenkommission einberufen wurde, die im Abschlussbericht ausführte: Ach was, es gibt so viele davon, man wird sie nie los, selbst wenn man es wollte. In Michigan wiederum wurde ein Gesetz erlassen, das die Nistplätze der Vögel unter Schutz stellte. Das hat aber wenig bewirkt. Bald wurde dann die Jagd auf die Wandertaube insgesamt untersagt. Bis es aber so weit war, gab es nur noch ein paar kleine Schwärme, und die ängstlichen kleinen Viecher vermehrten sich schlecht, wenn sie sich nicht von einer großen Gruppe geschützt fühlten. Wieder ein paar Jahre später lebte nur noch eine einzige Wandertaube in den USA , und zwar im Zoo von Cincinnati. Sie starb am 1. September 1914 und wurde vom Smithsonian Institute in Washington, D.C., ausgestopft. Sie hieß Martha.
Der Tod Marthas und ihrer ehemaligen Weggefährten war so erschütternd, dass man eine Reihe von ersten Umweltschutzbestimmungen erließ. Mittlerweile in vielfältiger Weise ausgeweitet, gehören sie heute zu den besten der Welt und verfehlen auch ihre Wirkung nicht. Laut der Wissenschaftlerin Miranda Schreuers von der University of Maryland stehen nur noch 10 Prozent der bekannten Warmblüter Amerikas auf der Liste der bedrohten Tierarten, in Deutschland sind es zum Vergleich noch 37 Prozent. Neben Deutschland und Japan gehört Amerika inzwischen zu den internationalen Spitzenreitern, was die Produktion und den Export von Umwelttechnologie angeht, und wir kaufen auch mehr davon als jedes andere Land ein, nämlich 40 Prozent der gesamten weltweiten Produktion.
Manche Regelungen sind so streng, dass man heute weniger von den Umweltschützern hört als von deren Gegnern, die gerne lamentieren, dass man in diesem riesigen Land kaum mehr eine Autobahn, eine Fabrik oder eine Pipeline bauen könne, ohne auf irgendeine bedrohte Tier- oder Pflanzenart zu stoßen, von der bis dahin kein Mensch gehört habe.
Es kommt nicht nur zu Zusammenstößen zwischen Umweltschützern und Bewohnern von Kleinstädten mit schwacher Infrastruktur, die sich verzweifelt nach den Jobs der gewissenlosen großen Investoren sehnen – auch verschiedene Arten politischer Korrektheit prallen aufeinander. Als der am Pazifik beheimatete Indianerstamm der Makah, der genau gegenüber meiner alten Heimat Bellingham am Pudget Sound wohnt, kürzlich auf sein uraltes traditionelles Recht pochte, mindestens einmal im Jahr gemeinsam von Kanus aus einen Grauwal zu erlegen, war es plötzlich nicht mehr klar, wer der Bösewicht war: die naturnahen Indianer, die die Wale ausrotten wollten, oder die Umweltschützer, die die Spiritualität eines Urvolkes mit Füßen traten. Am Ende waren aber doch alle glücklich: Obwohl das Gericht den Indianern das Recht zusprach, ist die spirituell hochwertige Traditionsjagd so schwierig und aufwendig (da keine modernen Waffen erlaubt sind), dass der Stamm es bis heute nur einmal geschafft hat, tatsächlich ein Tier zur Strecke zu bringen.
Es gibt aber immer noch einen großen Unterschied zwischen der Neuen und der Alten Welt: Amerika hat sehr viel mehr unerschlossenen Raum. Die Bevölkerungsdichte in Europa liegt bei 84 Menschen pro Quadratkilometer, in Amerika dagegen sind es gerade einmal halb so viele. Die schiere Größe des Landes hat uns von Anfang an begeistert, wir sahen es als Einladung, ja Herausforderung, zuzugreifen, und das liegt uns noch immer im Blut. Schon als die ersten Kolonisten einen Fuß an Land setzten und mit großen Augen nach Westen blickten, wo es einfach nicht mehr aufhören wollte, geisterte ihnen die Lust auf mehr im Kopf herum. Europa, wo es für uns nichts mehr zu holen gab, lag hinter uns. Vor uns aber lag ein ganzer Kontinent, ein Land des Überflusses, und wir hatten das Gefühl, wir setzten uns an ein magisches Tischlein-deck-dich, das uns all unsere Sünden verzeiht.
Eine der allerersten lukrativen Geldquellen, die wir in der Neuen Welt erschlossen, war der Pelzhandel. Er war der Grund, warum die Engländer, Russen und Franzosen Anspruch auf Nordamerika erhoben und der Anlass für diplomatische Beziehungen zu den Indianern: die Europäer gaben ihnen Gewehre, sie gingen
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