Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)
Konsumkritik geht heute Hand in Hand mit Umweltschutz; das mag uns zwar als Selbstverständlichkeit erscheinen, war aber nicht immer so. Die amerikanischen Proteste gegen Umweltverschmutzung und gegen den Konsumwahn verzahnen sich immer stärker, und beide Lager suchen gleichermaßen nach neuen Wegen, und zwar nicht härtere, asketischere, purere, wahrere Wege, sondern medienwirksamere.
Die »Biotic Baking Brigade«, eine Gruppe von backenden Protestlern, wählte etwa den Weg, prominente Umwelt- und andere Sünder öffentlich mit Torten zu bewerfen. Zu ihren Opfern zählen der radikal homophobe Prediger Fred Phelps, der einflussreiche Ökonom Milton Friedman, der schwedische König Carl Gustaf und Bill Gates. Und sie haben noch eine Menge Backpulver …
Die »Yes Men« dagegen kommen gern im Anzug daher und foppen mit ihren Pseudo-Business-Auftritten ganze Wissenschaftskongresse. 2004 gaben sie sich als die Wahlhelfer-Truppe »Yes, Bush Can!« aus und nahmen Bush-Wählern das Versprechen ab, ihre Kinder in den Krieg zu schicken und ihren fairen Anteil an US -Atommüll im eigenen Hinterhof endzulagern.
Man würde es nicht unbedingt vermuten, aber originelle und medienwirksame Aktionen gegen den Konsumwahn sind in Amerika, dem Land der unbegrenzten Experimente, nichts Neues.
Schon 1827 eröffnete Josiah Warren, der Erfinder, Musiker, Autor und Herausgeber der kurzlebigen anarchistischen Zeitschrift The Peaceful Revolutionist , ein ganz spezielles Kaufhaus, genannt »Cincinnati Time Store«.
Nein, dort konnte man keine Zeit kaufen, wohl aber mit Zeit bezahlen. Warren war der Meinung, dass kein Produkt mehr kosten sollte, als die Arbeit wert war, die in seine Herstellung investiert wurde. Also entwickelte er ein System, bei dem Kunden ein Produkt kaufen konnten mit dem Versprechen, eine bestimmte Anzahl von Stunden dafür zu arbeiten. Das Versprechen wurde in »labor notes« – also Arbeitsscheinen – eingelöst.
Als er nach einigen Jahren den Laden wieder aufgeben musste, war er jedoch noch lange nicht am Ende. Nun versuchte er es mit der Religion. Er ging nach Utopia, einem kleinen Ort in Ohio, wo eine religiöse Gemeinschaft sich gerade auflöste, weil das erhoffte Ende der Welt doch nicht eingetreten war; mehr als ein Hang zur Apokalypse verband die Gläubigen offenbar nicht. Warren übernahm das Projekt kurzerhand und etablierte dort eine Kommune, in der es zwar Privatbesitz gab, aber die gesamte Wirtschaft aufgrund von Zeitscheinen funktionierte. Die Kommune hielt sich etwas mehr als 10 Jahre und wuchs auf rund 40 Gebäude an, einschließlich mehrerer »Time Stores«.
Als auch das zu Ende ging, zog Warren weiter und etablierte noch eine Kommune namens »Modern Times«. Heute gilt der unverzagte Josiah Warren nicht nur als Urvater des amerikanischen Anarchismus, sondern auch der modernen Tauschringe wie »Swap-Shops«.
Auch wir Amerikaner haben, wie man sieht, ab und zu von dem eigenen Konsumwahn die Nase voll. Wer aber glaubt, wir können davon kuriert werden, der irrt: Es liegt uns im Blut.
Wenn ich heute zu Besuch nach Hause in die Staaten zurückkehre, unterscheide ich zwischen zwei Seelen in meiner Brust:
Die europäisierte bürgerliche Seele schreckt vor dem ganzen Marktgeschrei Amerikas zurück. Für sie steht das Bunte und Schrille für Oberflächlichkeit und Materialismus, für den teuflischen Pakt mit bedeutungslosem weltlichen Tand und für die Abkehr von höheren geistigen Werten.
Das Bürgertum Europas verdient zwar auch nicht gerade schlecht, zeigt es aber anders: durch gepflegten Müßiggang zum Beispiel. Der gehobene Bürger kann was Nettes lesen, in die neueste Oper gehen oder japanische Holzschnitttechnik erlernen – er muss sich nicht für coole neue Produkte oder gar für Spaß und Witz begeistern, sondern für bleibende Werte.
Für ihn hat der konsumbesessene Amerikaner keine Seele und keine Moral, denn der schätzt weder Kunst noch Kultur, denkt nicht selbstlos an die Gemeinschaft, sondern nur an sein eigenes Wohl; er guckt nicht über seinen Tellerrand, plant nicht langfristig … kurz, er verhält sich wie ein kulturloser Neureicher. Und wissen Sie was? Genau das sind wir auch: Neureiche.
Damit sind wir bei der zweiten Seele in meiner Brust angelangt: Der Pöbel mit Geld.
Unsere Vorfahren waren bettelarm, als sie aus Europa kamen. Das prägt. Heute zeigen wir, dass wir die Alte Welt überwunden haben, indem wir … einkaufen. Lachen Sie nicht, es stimmt.
Im feudalen England
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