Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)
besaßen die Megareichen von damals ein viel größeres Stück an der Gesamtwirtschaft und konnten deshalb mit der Politik umspringen, wie sie wollten. Und das taten sie auch.
Als 1911 sein Standard Oil beispielsweise 64 Prozent des Marktes beherrschte, belief sich Rockefellers Vermögen nach einer Schätzung auf sage und schreibe zwei Prozent des gesamten Bruttoinlandsproduktes. Da kommt Bill Gates heute bei weitem nicht heran.
Die »Captains of Industry« schalteten und walteten, wie sie wollten, was auch daran lag, dass regelmäßig Summen in Millionenhöhe in die Taschen der Politiker flossen. Das war kein Geheimnis. Präsidentschaftskandidat Grover Cleveland baute sogar seinen Wahlkampf darauf auf, dass er in Aussicht stellte, die Korruption und Übermacht der Megareichen endlich zu bekämpfen. Das musste er auch, um gewählt zu werden. Aber gleichzeitig hatte er natürlich auch den Megareichen zu versprechen, dass ihnen nichts passieren würde. Kaum hatte er die Wahl gewonnen, versicherte er den Captains of Industry im Vertrauen: »Kein Geschäftsinteresse wird aufgrund von Regierungspolitik Schaden nehmen, solange ich Präsident bin.« Vom Eisenbahn-Milliardär Jay Gould bekam er daraufhin ein vor Dankbarkeit triefendes Telegramm: »Ich glaube, die expandierenden Geschäftsinteressen des Landes sind in Ihren Händen absolut sicher.«
»Captains of Industry« nennen wir heute »robber barons« – Raubritter, denn sie schraken vor nichts zurück. Sie bauten Monopole auf und verteidigten ihre Interessen, wenn nötig, mit Waffengewalt. Selbst gegenüber den eigenen Angestellten:
Es war gang und gäbe, ganz normale Arbeiter in den Minen, in den Ölfeldern oder an der Eisenbahnstrecke von bewaffneten Sicherheitsleuten überwachen zu lassen. Diese Security-Leute nannten sich damals »Detektive«, aber die beste Voraussetzung für die Anstellung bei den großen Detekteien wie Pinkerton war eine kriminelle, am besten auch gewalttätige Vergangenheit. (Das ist heute natürlich ganz anders.) Es war damals billiger, bewaffnete Aufpasser einzustellen, als den Arbeitern einen Dollar mehr Lohn zu bezahlen oder ihnen mal einen Tag frei zu geben.
In Tennessee wurden Bergleute 1891 gebeten, doch einen neuen Vertrag zu unterschreiben, in dem sie unter anderem zusicherten, nicht zu streiken. Als sie ablehnten, wurden sie kurzerhand aus dem Bergwerk ausgeschlossen und durch Insassen eines nahe gelegenen Gefängnisses ersetzt – mit Einverständnis der örtlichen Behörden.
Das schien clever, war aber nicht wirklich durchdacht. In der Nacht besetzten 1.000 Kumpels das Bergwerk und ließen die erfreuten Gefangenen frei. Jetzt hatten die Bosse nicht nur alle Hände voll mit dem Streik zu tun, sondern mussten auch noch der Polizei erklären, warum 500 Knastis frei in der Gegend herumliefen. Die Minenbesitzer gaben klein bei.
Auch unser verehrter John D. Rockefeller schreckte nicht vor solch rüden Methoden zurück: Als seine Arbeiter in South Colorado streikten, feuerten die von ihm angeheuerten Sicherheitsleute auf sie und töteten 66 Menschen, darunter 11 Frauen und Kinder. Zu seiner Verteidigung muss man aber auch erwähnen, dass das Massaker selbst Rockefeller schockierte – so sehr, dass er danach öfter mal Almosen an bedürftige Kinder gab, wann immer gerade Fotografen in der Nähe waren …
Solche Geschichten sind aus jener Zeit massenhaft überliefert: Während die Captains of Industry in New York üppige Feste feierten und patriotische Reden schwangen, schufteten die »indentured servants«, die freigelassenen Sklaven und die Einwanderer im Land bis zu 12 Stunden am Tag, ohne Krankengeld, ohne Rente, ohne Gewerkschaft, bis sie tot umfielen – und konnten generell von »denen da oben« keine Unterstützung erwarten.
Auch als kapitalistische Vorbilder hinterlassen die »robber barons« einen recht zwiespältigen Eindruck:
Unternehmer wie Rockefeller haben es zwar auf eigene Faust geschafft, ein begehrtes Produkt zu einem niedrigen Preis anzubieten, andere sind jedoch hauptsächlich dank Fördergeldern, Steuererleichterungen und anderen Vergünstigungen reich geworden – vor allem die Herren der Eisenbahngesellschaften.
Der Union Pacific Eisenbahngesellschaft war der Bau einer Eisenbahnstrecke, die einen ganzen Kontinent durchquerte, eigentlich herzlich egal, sie wollte nur das Land, das ihr dafür versprochen wurde. Man arbeitete schlampig, benutzte minderwertiges Schwellenholz, verlegte Schienen auf Eis und
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