Planet America: Ein Ami erklärt sein Land (German Edition)
im Süden und im Westen den Boden bearbeitet, hüpft man in Manhattan geschwind im Anne-Klein-Businesskostümchen in ein Taxi, ein Croissant von Ceci-Cela in der einen Hand, das iPhone in der anderen, und verbringt den Tag im Büro in einer der oberen Etagen eines schicken Wolkenkratzers. Wo gehen die schönen Mädchen hin, wenn sie einen Mann suchen? Nicht nach Des Moines oder Rapid City jedenfalls – da findet man den bodenständigen Kerl mit dem guten Herzen, der zu nichts zu gebrauchen ist. Wo spielt ein Film, wenn es um witzige, kluge Menschen geht, um Karriere, Mode, Politik? Nicht in Atlanta oder Houston jedenfalls. Dort spielen Filme, wenn es um Trottel geht.
Hier in Neuengland, auf dem Atlantic Seaboard, wie man die Ecke nennt, wo die nördlichen der ersten Kolonien gegründet wurden, leben Bürger und Großbürger, wie man sie aus Europa kennt: gebildet, kultiviert, auf ihren Ruf achtend, eine gute Universität im Rücken und in die gehobene Gesellschaft eingebunden, politisch korrekt. Hier findet man das alte Geld und die alten Familien; hier geht man nicht in die Kirche, weil man gerettet werden will, Jesus gefunden hat oder ordentlich Buße tun will, sondern weil sich das so gehört. Und wenn man darauf keinen Bock hat, ist man keine verlorene Seele, sondern intellektuell.
Auch anderswo gibt es prima Universitäten, wo man hingehen kann, wenn man nichts anderes will als studieren, aber sie gehören nicht zur so genannten »Ivy League«, und daher existieren sie nicht wirklich. Dort wird man nicht die Kontakte knüpfen, die man später braucht, um wirklich groß rauszukommen.
Hier oben im Nordosten erlebt man selbst die Jahreszeiten noch richtig: Der New Yorker Winter ist hart, besonders auf den schlaglochübersäten Straßen, durch die der Wind fegt, aber man bewundert die großen vorweihnachtlichen Schaufensterinszenierungen in Kaufhäusern wie Macy’s oder geht Schlittschuhlaufen am Rockefeller Center; der Herbst zaubert die Farbenpracht in die Wälder und Berge von Connecticut und Massachusetts, und man freut sich auf den Indian Summer, wenn mitten im Herbst die Temperatur wieder so weit ansteigt, dass man ohne Jacke in den Park kann.
Hier begegnet man den Figuren aus den Woody-Allen-Filmen, hier residierten John Updike und J. D. Salinger, und John Irving lebt hier immer noch; hier schrieben Herman Melville und Nathaniel Hawthorne und Edgar Allen Poe. Hier tagte der legendäre »Algonquin Round Table«, wo die besten Journalisten der wilden Zwanziger scharfzüngige Beleidigungen austauschten; hier kann man noch großen Literaten wie Jonathan Franzen oder Jonathan Safran Foer im Starbucks nebenan begegnen.
Man ist selbstverständlich gegen die Todesstrafe und für die Homo-Ehe und für das Recht auf Abtreibung, und für strengere Waffengesetze sowieso. Na gut, Sie finden natürlich auch hier genug Typen, die eine Waffe zu Hause haben, aber diese geben damit kein politisches Statement ab, sondern sind vermutlich ganz einfach Kriminelle.
Hier wird Politik gemacht. Hier stößt man noch auf die Grundfesten der ehemaligen Kolonien. Man kann den Geist der Gründerväter atmen – dieser intelligenten, beharrlichen Männer, die eine der wenigen erfolgreichen politischen Aufklärungsbewegungen initiiert und damit die Welt verändert haben. Sie waren das Beste an Amerika und verkörpern das Beste, das wir Amerikaner auch heute noch anstreben können: gebildet, belesen, redegewandt und irgendwie auch selbstlos in ihrem Willen, eine neue Gemeinschaft zu etablieren.
Sobald Präsidenten nach Washington kommen, durchleben sie eine seltsame Verwandlung, als ob sie sich von den Geistern der Gründerväter beobachtet fühlen: Sie werden zu nordöstlichen Staatsmännern, oder zumindest versuchen sie es.
Lincoln zum Beispiel war ein Landei, aber er sprach nicht so. Im Gegenteil, einige seiner Reden werden als Meisterwerke betrachtet. Er hatte vermutlich anfangs nicht vorgehabt, die Sklaven um jeden Preis zu befreien, aber als ihm der Bürgerkrieg in den Schoß gelegt wurde, ordnete er sich in die Reihe der großen idealistischen Gründerväter ein und vollendete ihr Werk. Mitten im Bürgerkrieg schrieb er jene Worte, die für viele von uns wie eine zweite Unabhängigkeitserklärung sind, weil die erste in einem bestimmten Detail eben doch nicht gegriffen hatte: »Vor 87 Jahren gründeten unsere Väter auf diesem Kontinent eine neue Nation, in Freiheit gezeugt und dem Grundsatz geweiht, dass alle Menschen
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