Planeten 03 - Venus
Oberfläche bleiben kann. Vielleicht vermag ich die Spanne auf siebzig, fünfundsiebzig Minuten zu strecken. Aber nicht länger.«
»Das ist...« – ich suchte nach einem passenden Wort – »... genial.«
»Es ist genial, wenn es klappt, « sagte er grantig. »Wenn es nicht funktioniert, dann war es eine saublöde Idee.«
Ich musste lachen.
Aber er schaute an mir vorbei, vorbei an der Hecate und durch diese kleine Kammer hindurch.
»Ich werde dort runtergehen, Humphries, runter in den Schlund der Hölle. Ich werde der erste Mensch sein, der die Oberfläche der Venus erreicht. Ob ich es überlebe oder dabei draufgehe, niemand wird mir das jemals nehmen können. Der erste Mensch in der Hölle!«
Mir klappte die Kinnlade herunter. Er freute sich darauf und genoss diese Vorstellung.
Sonst zählte nichts mehr für ihn. Er war völlig darauf fixiert. Die Augen leuchteten, und er bleckte die Zähne in einem Ausdruck, den man als Ekstase oder auch Trotz zu deuten vermocht hätte. Und er kaute auch keine Pillen mehr.
»Das entbehrt nicht einer gewissen Ironie, was?«, fuhr er voller Vorfreude fort. »Wir haben nun einen Gipfel der Erkenntnis erreicht, wo wir das Altern praktisch gestoppt und den Tod besiegt haben. Wir erfreuen uns ewiger Jugend und Glückseligkeit. Und was tun wir? Wir setzen alles daran, in die Hölle zu kommen. Wir riskieren den Hals bei Eskapaden, die nur ein Wahnsinniger wagen würde! Das ist die menschliche Natur.«
Ich war sprachlos. Ich fand keine Worte, mit denen ich diesem Besessenen zu begegnen vermocht hätte.
Schließlich schüttelte er den Kopf und kam wieder zu sich. »In Ordnung, kommen Sie. Ich habe schon zuviel Zeit verschwendet.« Er wies mit dem Daumen auf die Leiter, die zur Luftschleuse hinauf führte.
Während wir zu seiner Unterkunft zurückgingen, fragte ich mich, wieso er mir die Hecate überhaupt gezeigt hatte. War es Stolz? Wollte er, dass ich das Schiff bewunderte und die intellektuelle Leistung, die er dafür aufgewandt hatte? Letzteres natürlich.
Ja, sagte ich mir, als wir uns der Brücke näherten, er hatte jemandem imponieren wollen. Und zwar mir.
Und er schien auch wieder der Alte zu sein. Keine Spur von Unsicherheit oder Schwäche in seinem Auftreten. Er freute sich darauf, die Hecate zur Oberfläche der Venus zu fliegen.
Dann kam mir die Erkenntnis. Er hatte mich nicht nur mit runter genommen, um mir das Schiff zu zeigen. Er wollte sich damit brüsten n u d mir zeigen, um wie viel klüger und stärker als ich er war. Er wollte mich mit der Nase darauf stoßen, dass er zur Oberfläche absteigen und das Preisgeld verdienen würde, während ich wie der letzte Depp hier oben in der Lucifer saß.
Der Hass auf ihn wallte wieder in mir auf. Und um der Wahrheit die Ehre zu geben, ich genoss dieses Gefühl.
Ich absolvierte meine Schicht auf der Brücke und ging dann zur Hauptpumpenstation.
Fuchs ließ das Schiff nun über dem Wrack kreisen, etwa fünftausend Meter über den schroffen Gipfeln, die das einschlossen, was von meinem Bruder und seinem Schiff noch übrig war.
Bisher hatte ich die immer stärkeren Alarmsignale ignoriert, die der Körper ans Gehirn sandte. Während der ganzen Schicht an den Pumpen spürte ich, wie das Kribbeln und die Schwäche in den Beinen allmählich auch in die Arme ausstrahlte. Die Sicht verschwamm, auch wenn ich mir die Augen noch so heftig rieb. Es bedurfte einer regelrechten Willensanstrengung, um den Brustkorb zu heben und zu atmen. Ich bekam sogar Schüttelfrost.
Ich brachte die Schicht mit Ach und Krach hinter mich, aber ich wusste, dass ich es ohne Hilfe nicht mehr lang aushalten würde. Wie ein Betrunkener, der beweisen will, dass er noch Herr seiner Sinne ist, stakste ich den Gang entlang, an der Brücke vorbei, an Fuchs’ und Marguerites Quartieren vorbei zur Krankenstation.
Marguerite war nicht da. Das Krankenrevier war leer. Ich fühlte mich so ausgelaugt, dass ich mich am liebsten auf den Tisch gelegt und die Augen geschlossen hätte. Aber dann würde ich sie vielleicht nie mehr öffnen, sagte ich mir.
Sie musste doch irgendwo sein. Wenn ich noch bei klarem Verstand gewesen wäre, hätte ich sie über das Interkom-System ausfindig zu machen versucht. Aber dazu reichte es nicht mehr. Sie musste irgendwo sein, soviel wusste ich immerhin noch.
Vielleicht in ihrer Unterkunft.
Ich schleppte mich den Gang entlang und klopfte an ihre Tür. Keine Reaktion. Sie musste aber da sein, sagte ich mir und schob die Tür auf; sie
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