Planeten 05 - Saturn
Erde nach wie vor Rätsel auf. Wie der massivere Jupiter wird Saturn von innen erhitzt, wobei der Kern aus Gesteinsschmelze unter dem Druck der Riesenwelt, die auf ihm lastet, siedet. Jedoch ist der Saturn kleiner als Jupiter, weiter von der Sonne entfernt und deshalb kälter. Wo der Jupiter eine blühende Biosphäre aus fliegenden Organismen in seiner dicken Wasserstoff-Atmosphäre beherbergt und eine sogar noch komplexere Ökologie schwimmender Lebewesen im tiefen, den Planeten umspannenden Ozean, scheint es auf dem Saturn kein Leben zu geben außer den kälteadaptierten Mikroben, die sich in der oberen Wolkenschicht tummeln.
»Der Saturn ist eine Sackgasse, was multizelluläres Leben betrifft«, verkündete ein enttäuschter Astrobiologe, nachdem die ersten Sonden den riesigen Ozean untersucht hatten, der unter den ewigen Wolken der beringten Welt brodelt, »gerade oberhalb der Schwelle der Bewohnbarkeit für etwas Komplexeres als einzellige Organismen.
Nur ein bisschen wärmer, und wir hätten ein Duplikat von Jupiter gehabt«, fügte er melancholisch hinzu.
Unter den Milliarden von Eispartikeln, aus denen die Ringe bestehen, haben Robotsonden präbiologische und chemische Aktivitäten entdeckt, aber Indizien für lebende Organismen sind bisher noch nicht gefunden worden.
Saturns großer Mond, Titan, ist indes ein ganz anderer Fall.
Dort existiert nämlich eine reichhaltige Ökologie aus kohlenwasserstoffbasierten Mikroben, wodurch Titan für die Erschließung oder industrielle Nutzung von vornherein ausscheidet. Niemand außer Wissenschaftlern darf sich Titan überhaupt nähern, und selbst sie dürfen nichts anderes auf die Oberfläche hinunterschicken als gründlich sterilisierte Robotsonden.
Die wissenschaftliche Gemeinschaft und die internationale Astronauten-Behörde stimmen darin überein, dass Menschen Titans Ökologie nicht der Bedrohung durch Kontamination aussetzen dürfen.
Andere stimmen damit jedoch nicht überein.
Abteilungsinternes Memorandum
An:
das Personal der Abteilung Human Resources
Von:
R. Morgenthau, Amtierende Direktorin
Betreff:
Gebetskreise
Mehrere Mitarbeiter haben um eine Klarstellung gebeten, wie die Abteilung die Frage von Gebetskreisen handhabt. Obwohl die Habitatsbestimmungen solche Veranstaltungen während der Arbeitszeit nicht ausdrücklich vorsehen, sind sie durch besagte Bestimmungen andererseits auch nicht untersagt.
Deshalb wird die Abteilung diese Angelegenheit so handhaben, dass die HR-Mitarbeiter während der Arbeitszeit Gebetskreise abhalten dürfen ‒ vorausgesetzt, dass solche Veranstaltungen vorher mit der Amtierenden Direktorin abgestimmt werden und dass solche Veranstaltungen eine Dauer von nicht mehr als dreißig (30) Minuten haben.
Die Teilnahme der Belegschaft an den Gebetskreisen ist ausdrücklich erwünscht. Die Abteilung Human Resources wird außerdem alle anderen Abteilungen ermutigen, in dieser Angelegenheit ähnlich zu verfahren. Diejenigen, die gegen Gebetskreise sich aussprechen, sind offensichtlich bestrebt, ihre säkularistischen Ansichten der allgemeinen Population dieses Habitats aufzuzwingen.
Zeit, Gezeiten und Titan
Edouard Urbain stellte sich vor, am Strand von Titans Kohlenwasserstoff-Meer zu stehen.
Titan ist größer als der Planet Merkur ‒ eine kalte und dunkle Welt, die ungefähr zehnmal weiter von der Sonne entfernt ist als die Erde. Die Wolken und der Dunst von Titans dichter, trüber Atmosphäre filtern das Sonnenlicht zu einem fahlen, schwachen Schimmer.
Urbain sah sich auf einem Eis-Vorsprung stehen und durchs Helmvisier des Raumanzugs aufs schwarze, brodelnde Meer schauen, das über das zerklüftete Eisfeld unter ihm schwappte. In der Ferne zog ein rußiger ›Schneesturm‹ auf, eine Wand aus schwarzen Kohlenwasserstoffflocken, die beim Näherkommen den Horizont ausblendete. Dann hellte die öde, gefrorene Landschaft sich plötzlich auf.
Er schaute nach oben, und ihm stockte der Atem. Die Wolkendecke war für einen Moment aufgerissen, und er sah den Saturn hoch am Himmel: Der majestätische Himmelskörper war zehnmal größer als der Vollmond auf der Erde, und die Ringe glichen der Klinge eines Skalpells, das mitten durch den extravagant gestreiften Körper des Planeten schnitt. Es gab keinen schöneren Anblick im ganzen Sonnensystem, sagte er sich.
Nun setzte die Flut ein. Unter dem Zug der gewaltigen Gravitationskraft des Saturn geriet das Kohlenwasserstoff-Meer zu einer schäumenden Flutwelle, die schnell
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