Planeten 05 - Saturn
Ohne lang zu überlegen, rief sie im Sicherheitsbüro an und vereinbarte einen Gesprächstermin für Gaeta.
Dann lud er sie zum Mittagessen ein, und sie unterhielten sich über seinen Plan, auf die Oberfläche des Titan abzusteigen, und das Leben im Habitat; und ehe sie es sich versah, erzählte Holly ihm ihre Lebensgeschichte ‒ oder zumindest den Teil, an den sie sich erinnerte.
»Nehmen wir uns den Nachmittag doch frei«, schlug er plötzlich vor.
Holly nahm einen Schluck Kaffee und sagte sich, dass auf dem Schreibtisch zu viel Arbeit auf sie wartete; auf der anderen Seite war Manny nicht unattraktiv, und wenn er lächelte, leuchteten diese dunklen Augen auf wie Kerzen auf einer Geburtstagstorte.
»Und was sollen wir tun?«, fragte sie.
Er breitete die Hände aus und grinste sie an. »Nichts. Einfach nur herumhängen. Für ein paar Stunden einmal gar nichts tun.«
»Ich hätte eine bessere Idee«, sagte Holly und stellte die Kaffeetasse mit einem leisen Klirren ab.
»Welche denn?«, fragte er.
»Wir gehen auf eine Erkundungstour«, sagte Holly.
Also führte sie ihn zu einer Einstiegsluke, die in die Rückseite des Verwaltungsgebäudes eingelassen war, und dann die Metallleiter hinunter in den Versorgungstunnel.
»Wie der Abstieg zu den Morlocks«, murmelte er, als sie die Leiter hinunter kletterten.
»Ohrlocks?«, fragte Holly verständnislos.
Gaeta lachte nur.
Während sie durch den Tunnel gingen, sich unterhielten, sich umschauten und Entdeckungen machten, wurde Holly sich bewusst, dass sie mit diesem Mann allein war und niemand wusste, wo sie war. Was soll ich tun, wenn er sich an mich ranmacht?, fragte sie sich. Und ein anderer Teil ihres Bewusstseins fragte, was soll ich machen, wenn er sich nicht an dich ranmacht?
Er ist schon ein Hengst, sagte Holly sich, während sie durch den Tunnel marschierten. Er war nicht viel größer als sie, aber kräftig und muskulös. Sie hatte unter dem wachsamen Blick ihrer Schwester noch nie die Gelegenheit zu sexuellen Experimenten gehabt ‒ obwohl sie nach dem zu urteilen, was Pancho ihr erzählt hatte, schon in der Schule etliche ›Spielgefährten‹ und sogar ernsthafte Liebschaften gehabt hatte. Das war aber gewesen, bevor sie gestorben war.
Soll ich Malcolm ein bisschen eifersüchtig machen?, fragte sie sich. Er beachtet mich gar nicht. Vielleicht wird er Notiz von mir nehmen, wenn er sieht, dass ich mich mit diesem Prachtkerl treffe. Vielleicht…
»Wie gut kennen Sie eigentlich Dr. Cardenas?«, fragte Gaeta, als sie an einer Tunnelgabelung anhielten.
Holly zögerte für einen Moment und rief das mental abgespeicherte Tunnel-Netzwerk auf. »In dieser Richtung«, sagte sie mit einem Fingerzeig, »geht es zu den Farmen. Und in dieser Richtung zu den Fabriken.«
Er kratzte sich am Kinn. »Wir müssen dann den ganzen Weg zum Dorf zurückgehen?«
»Sicher. Es sind nur ein paar Kilometer.«
»Gibt es denn kein Transportmittel?«
Holly lachte. »Sie wollen mir doch nicht etwa erzählen, dass Sie schon müde sind!«
»Nee, eigentlich nicht. Ich sagte mir nur, dass es langsam Abendessenszeit wird und dass ich vorher noch duschen und mich umziehen sollte, wissen Sie.«
Holly spürte, wie ihr Puls sich beschleunigte. Versuchte er vielleicht, mich in sein Apartment zu locken?
»Ich bin mit Dr. Cardenas zum Abendessen verabredet«, erklärte er, »und ich will einen guten Eindruck bei ihr machen.«
Hollys Gesicht verdüsterte sich. »Mit Dr. Cardenas?«
Er musste ihre Enttäuschung bemerkt haben. Sie wurde sich bewusst, dass sogar ein Blinder sie gesehen hätte.
»Es geht bei diesem Gespräch darum, dass sie Nanoroboter programmieren will, um meinen Anzug zu dekontaminieren«, erklärte er. »Sie ist so sehr damit beschäftigt, ihr Labor einzurichten, dass ich nur beim Abendessen die Möglichkeit habe, mich mit ihr zu unterhalten.«
»Aha.«
»Es ist rein dienstlich.«
»Ja. Ich verstehe.« Gaeta warf ihr einen verschmitzten Lausbubenblick zu.
»Möchten Sie mitkommen? Oder bringen Sie doch einen Freund mit; dann wären wir zwei Pärchen.«
Plötzlich wurde Holly sich bewusst, dass sie gar keinen Freund hatte, den sie zu dieser Verabredung mitbringen könnte. Sie hatte wohl viele Bekannte, aber die meisten von ihnen waren Kollegen aus dem Büro. Seit der Ankunft im Habitat hatte sie ihr ganzes Denken und Handeln auf Eberly ausgerichtet. Bis zu diesem Tag, als Gaeta in ihrem Büro erschienen war.
Und nun das.
»Nein«, sagte sie mit fester Stimme.
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