Planlos ins Glueck
zum Vorschein, und bisher hatte sie diesen Gedanken unendlich tröstlich gefunden.
„Es tut mir leid, Mr Jennings“, wiederholte sie. „Sie muss hier irgendwo sein.“
„Aber das ist doch wirklich halb so schlimm. Wahrscheinlich haben Sie die Unterlagen schon längst an Edward geschickt.“
„Nein!“ Sie bemerkte, dass sie immer lauter wurde. Genau genommen hatte sie ihren Chef gerade angeschrien . Mr Jennings schien das ebenfalls nicht entgangen zu sein, denn er wich fast schon verängstigt einen Schritt zurück. „Ich meine, nein, Sir, das ist unmöglich. Ich gebe niemals Akten, Zeichnungen oder Blaupausen heraus, ohne vorher eine Kopie angefertigt zu haben. Niemals.“
„Okay, aber ich …“
„Oh Gott“, keuchte sie. „Was für ein Tag ist heute?“
„Ähm, ich glaube …“ Er sah zur Decke hoch, als stünde dort oben die Antwort geschrieben. „Donnerstag vielleicht?“
„Donnerstag“, murmelte sie. „Ja, Donnerstag, der fünfzehnte.“ Sie ließ die Finger kurz reglos über der offenen Schublade des Aktenschrankes schweben. Dann ballte sie die Hände zu Fäusten. „Donnerstag, der fünfzehnte. Um halb acht hatten Sie eine Verabredung zum Frühstück mit dem Bauunternehmer, der das Gramercy-Projekt in Auftrag gibt.“ Sie war kurz davor zu hyperventilieren. „Und ich habe Sie nicht … Ich habe Sie nicht daran erinnert. Haben Sie das Meeting verpasst? Bitte sagen Sie, dass Sie das Meeting nicht verpasst haben.“
„Alles gut.“ Mr Jennings hob beruhigend die Hände und bewegte sich in Richtung seiner Bürotür. „Keine große Sache. Erhat angerufen, ich habe mich verabredet, und wir treffen uns morgen zum Mittagessen.“
„Sie essen morgen mit Edward Cohen zu Mittag!“
„Dann verschieben Sie das eben“, sagte er und streckte unauffällig die Hand nach der Klinke aus. „Ed ist das egal. Alles ist gut.“ Und schon war die Tür hinter ihm zugefallen. Janes Herz raste.
Sie löste sich in ihre Bestandteile auf. All die Stückchen, aus denen sie ihr neues Ich so sorgfältig zusammengesetzt hatte, lösten sich von ihr ab wie eine alte Tapete. Erst hatte sie mit genau dem Typ Mann geschlafen, dem sie zehn Jahre lang konsequent aus dem Weg gegangen war. Dann hatte sie im Büro geheult und sich von ihrem Chef in den Armen eines fremden Mannes erwischen lassen. Und dann die Rechtschreibfehler! Der Schwips beim Thailänder! Und als hätte der verschlampte Projektantrag all dem nicht schon die Krone aufgesetzt, war sie jetzt auch noch schuld daran, dass Mr Jennings ein wichtiges Meeting verpasst hatte. Sie hatte ihn bloßgestellt und ihm Umstände bereitet. Sie hatte versagt.
Ihre Aufgabe in diesem Büro bestand darin, genau solche Dinge zu verhindern. Aus diesem Grund hatte Mr Jennings sie überhaupt erst eingestellt. Deswegen bezahlte er sie so gut und war überzeugt davon, dass er ohne sie nicht überleben könnte.
Ihr Job schenkte ihr Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein. Er war das Einzige, was sie wirklich gut konnte. Ohne ihren Job war sie einfach nur irgendein Mädchen mit einem Highschoolabschluss und teuren Klamotten. Sie würde nicht zulassen, dass ihr alles aus den Händen glitt.
„Wo bist du nur?“, murmelte sie und ging ein letztes Mal den Inhalt des Aktenschranks durch. Da der Antrag offenbar nicht vorhatte, ihr ein bisschen entgegenzukommen, knallte sie frustriert eine Schublade nach der anderen zu.
„Er muss hier sein. Er muss einfach!“ Natürlich wäre es möglich gewesen, den Großteil des Antrags aus MrJennings’ PC-Do – kumenten zusammenzustückeln, aber das war nicht der Punkt.
Eine Viertelstunde später ging Jane mit zitternden Händen die letzte Schublade durch. Und dort fand sie den Antrag. Unter E wie Edward, statt C wie Cohen. „Oh, Gott sei Dank“, flüsterte sie und drückte sich die Akte gegen die Brust.
„Jane?“, hörte sie hinter sich eine Frauenstimme sagen.
„Gefunden!“, jubelte Jane und wandte sich schwungvoll zu Lori Love um, die mit fragendem Blick in der Eingangstür stand.
„Gut, das ist toll“, erwiderte Lori, die allerdings keine Ahnung zu haben schien, wie erleichtert Jane gerade war. Denn ihr Tonfall wirkte ausgesprochen bedrückt.
„Tut mir leid, ich hatte etwas verloren. Wow, diesem Bauunternehmer sollte ich wohl besser einen Präsentkorb schicken. Bauunternehmer werden ja wohl Präsentkörbe mögen, oder? Sicher ist die Sache dann schnell vergessen. Mr Jennings ist übrigens in seinem Büro, ich sag ihm Bescheid,
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