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Plasma City

Plasma City

Titel: Plasma City Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Walter Jon Williams
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getrennt sind. Sie könnte das Gefühl überwinden, indem sie die Energie einsetzt, um eine Speiseleitung für das Plasma durch die Luft zu ziehen, wie sie es jeden Tag bei der Arbeit tut. Sie könnte einen Plasmastrahl von der Strebe in ihr Bewusstsein leiten, genau wie sie das Zeug aus den Sendeantennen der Plasmabehörde an die Empfänger in der ganzen Stadt schickt …
    Das Gesicht der Plasmataucherin mit den leeren Augenhöhlen starrt sie an.
    Aiah springt zurück und unterbricht den Kontakt. Die Energie pulsiert in ihrem Schädel, Funken blitzen auf der Netzhaut. Sie holt tief Luft, um sich zu beruhigen.
    Sie hat einfach nicht mit dieser Urgewalt gerechnet, denkt sie. Das nächste Mal wird es einfacher.
    Wieder kauert sie sich vor die Linie und betrachtet das kleine metallene Trigramm in ihrer Hand. Es ist nicht schwer, die Form im Kopf zu behalten, nachdem sie von den aufbrandenden, gewaltigen Energien förmlich in ihr Sehzentrum eingebrannt wurde. Sie berührt die Tinte mit einem Finger.
    Auf dem Trigramm spielen Farben, es läuft silbern und blau an. Das Plasma tost jenseits der schmalen Barriere aus rissigem Zement. Vorsichtig schirmt Aiah es in ihrem Bewusstsein ab und konzentriert sich auf den kleinen Strom, der über die Tintenspur zu ihr gelangt. Genau wie sie es schon vorher einmal getan hat, baut sie vor der Toilettentür die Illusion einer Wand auf, eine körperlose Sperre aus rissigem, brüchigem Beton.
    Aiah zieht den Finger von der gezeichneten Linie, tritt etwas zurück und hält den Atem an. Die Illusion hält. Sie betrachtet ein paar Minuten lang ihr Werk und vergewissert sich, dass nichts verzerrt ist oder wackelt oder verblasst. Vor allem muss die Illusion dafür sorgen, dass nicht bald schon wieder eine lebende Fackel aus Plasma ein ganzes Stadtviertel einäschert.
    Die Energie summt angenehm durch ihren Körper. Aiah schnappt sich ihre Sachen und bringt sie zur Straße hinauf. Sie klettert durch das Loch hinaus, das sie schon einmal benutzt hat.
    Sie lässt den Gullideckel wieder auf das Loch fallen und steht blinzelnd im Licht des Schilds. Der alte Mann und sein wackliger Tisch sind nicht mehr da, es sind nur noch wenige Leute auf der Straße unterwegs. Aiah blickt auf die Uhr. Sie hat den größten Teil der zweiten Schicht da unten verbracht. Noch ein paar Minuten und die dritte Schicht beginnt.
    Droben ziehen ein paar hohe Wolken vorbei. Sie fühlt sich überhaupt nicht müde, die Füße bewegen sich trotz der schweren Stiefel federleicht übers Pflaster. Sie fühlt sich, als könnte sie mühelos einige Meilen im Laufschritt zurücklegen. Sie fragt sich, ob sie schlafen kann, ob sie überhaupt noch Schlaf braucht.
    Kein Wunder, denkt sie, dass die Leute mit Zugang zum Plasma so lange leben.
    Sie geht durch den Tunnel, der zur Terminal-Station führt. Erschrocken sieht sie, dass sich vor ihr die Umrisse von drei Männern auf den gelb gekachelten Wänden abzeichnen. Drei Männer, mit Leinenhosen und weiten Hemden und schweren Stiefeln bekleidet. Sie haben ein Zehnerpack Bier dabei und rauchen Zigaretten.
    Aiahs vom Plasma beflügelte Füße haben sie schon halb durch den Tunnel getragen, ehe ihr die Gefahr bewusst wird, und dann ist es zu spät. Sie geht einfach weiter und bemüht sich, möglichst freundlich zu lächeln. Die drei Männer starren sie an, unrasierte und kalte Gesichter im Schein der Leuchtstoffröhren.
    »Was machst du denn hier, Mann?«, fragt einer von ihnen, ein stämmiger Mann mit einem Bierbauch, der unter dem etwas zu kurzen Hemd hervorschaut.
    »Ich arbeite«, sagt sie. Der Mann scheint überrascht, als er eine Frauenstimme hört.
    »Na, dann hast du wohl einen Job, was?« Ein dürrer Bursche mit tätowierten Armen und Pomade im Haar. »Da hast du mehr als wir.«
    »Vielleicht hast du sogar meinen Job«, sagt der erste Mann.
    »Nation!«, ruft der dritte Mann. Er sitzt auf dem Betonboden und lehnt an der gelb gekachelten Wand, die nackten Arme auf die angezogenen Knie gestemmt. Mit halb geschlossenen Augen singt er: »Nation, Nation, nur gemeinsam sind wir stark.«
    Jaspeeri Nation, denkt sie. Wie reizend.
    »Ich gehe ja schon«, sagt Aiah. Das Adrenalin kämpft mit dem Plasma um die Vorherrschaft in ihrem Kreislauf, als sie am Dicken vorbeigeht. Sie ist größer als er, aber er scheint trotzdem hoch über ihr aufzuragen. Ihr dreht sich der Magen um, als sie seine Bierfahne riecht.
    »Raus aus unserer Nation, Schlampe«, sagt der Dicke. Er macht einen Schritt in ihre

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