Plasma City
ein Bild von Constantine zu erschaffen und es auf die Wand gegenüber zu prägen, aber das Ergebnis ist so lächerlich, schlimmer als Kindergekritzel, dass sie es gleich wieder löscht.
Sie verbraucht die zweite Batterie und nimmt sich die dritte vor. Jetzt probiert sie etwas Neues, sie will nach Westen zur Metropolis von Gerad hinausgreifen. Sie ruft sich erst das Trigramm vor das innere Auge, dann ein Bild von Gil. Sie denkt an seine freundlichen blauen Augen, an die sanften Hände mit den dicken Fingern, an die zarte, sommersprossige Haut, die sich an sie drückt, an die behaarte Brust unter ihrer Wange … und in diesem Augenblick berührt ein trauriger kalter Finger ihr Herz, denn sie erinnert sich an Fredho, an den Geschmack seiner Schweißtropfen und seiner Haut.
Aber das Feuer in ihren Nerven und ihrem Bewusstsein ist zu rein, zu mächtig um die Trauer lange zu halten. So schickt sie ihren Geist weiter aus nach Westen, um Gil eine Botschaft zu überbringen, wo immer sie ihn antrifft …
Und einen kleinen Augenblick lang berührt sie ihn, eine flüchtige Verbindung zu seiner Seele entsteht, so abrupt und überraschend, dass sie erschrickt und den Kontakt sofort wieder verliert. Sie weiß, dass er mit anderen Männern in einer Bar oder einem Club ist. Sie spürt, dass er etwas betrunken ist, sie schmeckt wässriges Bier auf der eigenen Zunge und spürt die Benommenheit im Kopf. Sie weiß, dass er sich langweilt.
Diese Langeweile, denkt sie und schreibt ein paar Punkte auf seinem Konto gut.
Vorsichtig sucht sie ihn noch einmal, sanfter dieses Mal. Sie ruft sein Bild vor ihr inneres Auge, findet ihn und sieht ihn nach und nach immer schärfer. Er zuckt zusammen, als der Kontakt entsteht. Sie schickt ihm, was sie empfindet: Sehnsucht, Sorge, Begehren. Sie versucht, Gil mit ihrer Zärtlichkeit einzuhüllen wie in ein flauschiges warmes Handtuch. Und langsam beginnt er zu träumen und die sehnsüchtigen Gefühle zu erwidern, die sie ihm schickt.
Der Augenblick ist vorbei, und Aiah merkt, dass ihr die Tränen aus den Augen rinnen. Sie blinzelt sie weg und sieht die Batterie an. Sie ist leer. Der Kontakt über so große Entfernungen verbraucht anscheinend eine Menge Energie.
Die Nachwirkungen des Kontakts verblassen allmählich. Aiah bringt die Batterien in die alte Toilette, um sie wieder aufzuladen. Sie schließt die Krokodilklemmen an und sieht zu, wie die Ladeanzeige rasch die Farbe wechselt und blau wird.
Die nächste halbe Stunde arbeitet sie mit dem Plasma, um sich an die Ladung und die Energie zu gewöhnen, aber sie lässt immer die Batterien als Puffer zwischen sich und der Quelle.
Sie hat beschlossen, dass sie etwas mit der offenen Tür tun muss. Jede Illusion, die sie mit dem Plasma aus den Batterien aufbaut, verblasst wieder, sobald die Batterien leer sind. Sie muss die Illusion mit einer stärkeren Kraftquelle verbinden.
Aiah holt tief Luft, zieht einen isolierten Handschuh an und nimmt einen Plasmaschreiber aus dem Overall. Vorsichtig räumt sie mit der isolierten Hand den Schutt vor der heruntergebrochenen Strebe weg. Dann nimmt sie die Kappe vom Stift und zieht eine Bahn – präzise gemalt und innen schraffiert – vom Ende der Strebe quer über den Betonboden.
Der Plasmaschreiber ist billige Alchemie. Er enthält eine Tinte mit Metallteilchen, die es dem Plasma erlauben, dem Verlauf der Linie zu folgen. Die Stärke der Strömung lässt sich durch den Metallgehalt der Tinte und die Breite der Bahn steuern. Die Stifte werden in verschiedenen Größen und Dichten verkauft, damit unterschiedliche Plasmaströme gelenkt werden können.
Aiah kriecht seitwärts über den Boden und zieht die Bahn aus. Als sie die Türschwelle erreicht, malt sie zum Abschluss einen Querstrich und tritt auf den Bahnsteig, um sich das Ergebnis anzusehen.
Kurze Zeit warten, damit die Farbe trocknen kann. So steht es in der Bedienungsanleitung.
Sie wartet eine Weile. Aiah zupft am Handschuh, zögert. Das pochende Herz scheint den ganzen Brustkorb auszufüllen.
Sie zieht den Handschuh aus und lässt ihn auf den Bahnsteig fallen. Dann zieht sie das kleine Trigramm unter dem Kragen hervor, hält es in der Hand, starrt es an und prägt es sich ein. Sie kniet sich vor die Tür, streckt die Hand aus, zögert, streckt sie weiter aus.
Mit einem Brüllen stürzt die Energie von der anderen Seite der Linie auf sie ein, dieser unendliche Quell gewaltiger Kräfte, die nur durch eine dünne Linie metallhaltiger Tinte von ihr
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