Plasma

primitive Bastelei zwar, aber sie funktionierte. Der Pilot hatte die Maschine zwei Minuten lang stabilisiert, während der Kopilot die zweite Tür mit einer schnell trocknenden Dichtmasse versiegelte. Dann hatten sie den Luftdruck im Innern auf einen Wert abgesenkt, der elftausend Fuß entsprach.
    »Wir sind okay«, rief der Kopilot nach einem Blick auf ein Messgerät, das er an seinem Handgelenk befestigt hatte.
    Cam riss sich Brille und Maske herunter und strich mit den bloßen Händen erleichtert über Bart, Nase und Ohren. Ruth nahm ihren Gesichtsschutz mit steifen, hölzernen Bewegungen ab, und er sah, dass sie schneeweiß war.
    »Schau mich an!« Cam beugte sich weit vor, damit sie seine Worte über den Lärm der Flugmotoren verstehen konnte. Im nächsten Moment kippte die Cessna nach links, und sie stießen mit den Köpfen zusammen. »Sieh nicht nach draußen! Schau mich an!«
    Sie nickte, ohne seinen Ratschlag zu befolgen. Ihre Augen waren unter den verfilzten braunen Locken glanzlos und so weit aufgerissen, als sähe sie etwas Schlimmes unweigerlich näher kommen. Cam kannte das Gefühl. Sie flogen unglaublich tief. Ein kleiner Fehler, und sie krachten in ein Gebäude oder gegen eine Bergflanke. Er spürte ein nervöses Kribbeln im Nacken. Würden sie einen Raketenangriff überhaupt bemerken?
    »Wir schaffen das«, sagte er.
    »Ja.« Ihre Stimme zitterte, und sie umklammerte seine Hand.
    »Wohin fliegen wir?«, schrie Newcombe nach vorne. Cam tat der Freund leid. Er hatte niemanden, der ihn beruhigte. Cam hätte ihm gern eine Hand auf den Arm oder die Schulter gelegt, aber Newcombe saß in einer anderen Reihe.
    »Colorado«, rief der Pilot.
    »Was? Ich denke, da ist eine Atombombe detoniert.«
    »In Leadville, ja.« Die Maschine drehte erneut nach links ab, gewann an Höhe und schwenkte dann nach rechts. Das Motorengeräusch erinnerte an einen Presslufthammer. »Wir kommen von Grand Lake, etwa hundert Meilen weiter nördlich. Uns hat der Fallout nicht mehr erreicht.«
    Während der nächsten zweieinhalb Stunden beantwortete der Pilot ihre Fragen, so gut er konnte. Die Cessna flog ruhiger, sobald sie die Wüste verlassen hatten, aber er war allem Anschein nach ebenso angespannt wie seine Passagiere, und so begrüßte er die Ablenkung. Er wusste, wer sie waren, und empfand es als Ehre, dass er seinen Beitrag zu ihrer Rettung leisten durfte. »Ihr seht echt schlimm aus«, sagte er mit Hochachtung in der Stimme.
    Grand Lake gehörte zu den größten Rebellen-Stützpunkten der Amerikaner. Sie landeten auf einer schmalen Straße, und Cam entdeckte zu beiden Seiten Jets und Helikopter, viele davon in Tarnnetze gehüllt. Inmitten einer baumlosen Fläche befanden sich vier lang gestreckte Baracken aus Holz und Zeltleinwand. Der matschige braune Boden war zertrampelt. Überall wimmelte es von Menschen. Die Gipfel hatten die Anordnung eines Hufeisens und waren über mehrere Quadratmeilen hinweg besiedelt. Vom Flugzeug aus hatte Cam Zelte, Hütten und Wohnwagen auf einem holprigen Gelände mit zahlreichen Böschungsstufen und Abzugsgräben erblickt. Latrinen? Windschutz? Oder dienten diese Senken und primitiven Wälle als Unterkünfte für Leute, die nichts Besseres hatten?
    Grand Lake war ein kleiner Ort am Rande eines blauen Sees gewesen, der sich nur neun Meilen westlich der Continental Divide in einem spektakulären Seitental des Canyons gebildet hatte. Er befand sich in einer Höhe von 2600 Metern und hätte kaum mehr als seine ursprünglichen 3000 Einwohner ernähren können. Während der ersten Wochen der Maschinenpest waren aber Fahrzeug-Konvois durch seine Straßen gerollt und Flugzeuge auf seinen Plätzen gelandet. Die Zufahrten und Wanderwege, die von hier aus in die umliegenden Berge führten, hatten sich zu Verbindungslinien in die rettenden Höhen entwickelt. Bald danach wurde das Städtchen selbst abgerissen, weil man Baumaterial für die Behelfssiedlungen weiter oben benötigte.
    Aus der Luft waren die ersten Evakuierungsversuche immer noch sichtbar, wie Flutmarken im Sand. Viele der Fahrzeuge, die in den Flüchtlingslagern herumstanden, erweckten den Eindruck, als seien sie seit jener Zeit nicht mehr bewegt worden. Hier und da dienten die Trucks und Panzer auch als Barrieren, die die Siedler gegen ihre Nachbarn abschirmten. Außerdem gab es freie Flächen, auf denen allem Anschein nach Feldfrüchte gediehen oder gerade neue Äcker angelegt wurden. Man hatte an den Bergflanken Erde aufgeschüttet, um