Plasma
beengte Ruth von rechts. Das Labor aber war steril und hell erleuchtet und hatte mehr Strom zur Verfügung, als sie benötigte.
Sie wussten, dass die Tests, die sie durchführte, nicht ungefährlich waren. Der Arbeitstisch verfügte über Röntgen- und UV-Projektionsapparate, die einen außer Kontrolle geratenen Nanobot wenn nicht sofort vernichteten, so doch zumindest verlangsamten, und die Klimaanlage konnte im Notfall kurzzeitig auf hundertdreißig Stundenkilometer hochgefahren werden und sämtliche Irrläufer-Partikel einsaugen. Doch darüber dachte sie besser nicht nach. Die Strahlung war für jeden, der sich länger im Labor aufhielt, schlimm genug. Dazu kam noch, dass sich die technische Einrichtung bei Vakuum in einen umgekehrten Regen aus Metall, Hartplastik und peitschenden Strippen verwandeln würde – und wenn das die Gefahr immer noch nicht beseitigte, konnte man die Zelle natürlich auch für alle Zeiten verschweißen. Es war, als arbeitete sie in einem Sarg.
»Lasst mich hier raus«, sagte sie.
»Warum?«, fragte McCown.
Ruth strich sich mit den weißen Handschuhen über die Maske. »Ich Idiot habe meine Notizen vergessen.« Sie bemühte sich, den schrillen Beiklang der Klaustrophobie aus ihrer Stimme zu verbannen.
Die meiste Zeit streifte diese besondere Angst ihr Bewusstsein nur ganz am Rande. Sie hatte sich mit Begeisterung auf ihre Arbeit gestürzt. Es war eine unendliche Wohltat, wieder die Kontrolle zu übernehmen, und Ruth hatte schon immer ein großes Talent dafür bewiesen, alles zu verdrängen, was sich neben ihren Mikroskopen abspielte – zumindest dann, wenn sie gerade Fortschritte machte. Manchmal fehlte ihr der Schwung. Mehr als einmal erinnerte sie sich an Flugzeuge oder Gewehrfeuer, und dann lagen ihre Nerven blank. An einem Tag sah sie im Augenwinkel Ameisen, die nicht existierten.
Ruth fand, dass es eine große Leistung war, sich Tag für Tag in diese enge Zelle zu zwängen, aber jetzt fiel es ihr schwer, ihr Herzrasen zu verheimlichen.
»Bitte«, sagte sie. »Ich weiß, dass es ein Umstand ist.«
»Kann denn nicht jemand diese Unterlagen für Sie holen?«, erkundigte sich McCown. »Wir lesen Ihnen die Notizen vor.«
»Nein.« Sie stieß das Wort zu schnell hervor. »Nein«, wiederholte sie ruhiger. »Ich wollte gestern Abend noch ein paar Gedankengänge durcharbeiten, aber nach dem Essen war ich dann einfach zu müde.«
»Hm. In Ordnung.« McCown schien die Stirn zu runzeln. »Geben Sie uns ein paar Sekunden.«
Ruth taumelte gegen den Arbeitstisch und stieß mit dem Ellbogen gegen eine Atmosphäre-Haube, eine kleine Glashülle zum Versiegeln des RTMs. Die Haube klirrte. Ruth zuckte zusammen und stieß mit dem Kopf an ein Regalbrett. »Au!«
McCown meldete sich per Interkom. »Ruth?«
»Ach, verdammt!« Sie dosierte ihren Tonfall sorgfältig zwischen Beiläufigkeit und Ärger. »Dieser Schuhkarton von einem Labor geht mir auf die Nerven.« Lasst mich hier raus!, dachte sie. Lasst mich hier raus! Lasst mich hier raus!
»Fünf Minuten, okay?«, sagte McCown.
»Okay.« Ruth starrte in das harte Licht der Deckenscheinwerfer. Dann wanderten ihre Blicke die mit Regalen und Geräten zugestellten Wände entlang. Eingesperrt. Schließlich beugte sie sich wieder über die elegante Stromlinienform des Mikroskops. Es war ihre einzige Fluchtmöglichkeit.
McCown brauchte wahrscheinlich zehn Minuten. Zuerst musste er mehr Saft zum Einschalten der Luftfilter im Schleusenraum anfordern. Als Nächstes würde er seine Kleidung und vor allem seine Haare und Hände unter einen Vakuumschlauch halten – und die ganze Prozedur wiederholen, sobald er den Schleusenraum betreten und die Tür abgeschlossen hatte. Anschließend würde er aus seinem Kleidersack an der Wand Haarnetz, Maske, Handschuhe und den weiten Schutzanzug nehmen und sich überstreifen. Erst wenn alle Punkte dieser umfangreichen Checkliste abgehakt waren, konnte er Ruths Tür aufsperren und ihr beim Ausziehen und Verstauen ihres Anzugs helfen.
Sie wollte nicht, dass er ihre Panikattacke bemerkte. Sie musste dieses Gefühl tief in ihrem Innern vergraben, aber der Mechanismus, der ihr im Allgemeinen half, ihre Ängste zu bewältigen, konfrontierte sie diesmal unmittelbar mit der Quelle ihrer Beunruhigung.
Wer hat dich entwickelt?, dachte sie, während sie in das Mikroskop starrte. Den neuen Geister-Nano durfte es eigentlich gar nicht geben. Wer hat dich entwickelt, und wo hat Cam sich angesteckt? Seine Blutprobe enthielt nur
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